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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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und doch wieder so erdenfremd, so emporgehoben über das
Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über
die Leiden und Freuden dieser Welt!


Ende Mai.

"Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ist bald allein," singt
Göthe's Harfner. In gewissem Sinne ist es wahr; aber
eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬
fahren. Denn so oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und
mich durch die Umstände wohl verschanzt und geborgen glaubte,
traten auch bald wieder Ereignisse ein, die mich, entweder
rasch und gewaltsam, oder leise und unmerklich zur Gesellig¬
keit zurückführten. So ist auch jetzt mein still vergnügtes
Dasein nicht mehr ganz so einsam und abgeschieden, wie ich
es mir für diesen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des
Hauses ist nämlich mit seiner Frau, die eben erst Mutter ge¬
worden, und dem sechsjährigen Töchterchen eines verstorbenen
Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat seine Aufgabe an der
Strecke gelös't und wird nun wieder im Bureau verwendet.
Da ging es sogleich lebhaft und geräuschvoll in meiner Nähe
zu. Kisten und Kasten waren abgeladen worden; man brachte
a llerlei Möbel und Geräthschaften zum Lüften und Scheuern

und doch wieder ſo erdenfremd, ſo emporgehoben über das
Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über
die Leiden und Freuden dieſer Welt!


Ende Mai.

„Wer ſich der Einſamkeit ergiebt, iſt bald allein,“ ſingt
Göthe's Harfner. In gewiſſem Sinne iſt es wahr; aber
eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬
fahren. Denn ſo oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und
mich durch die Umſtände wohl verſchanzt und geborgen glaubte,
traten auch bald wieder Ereigniſſe ein, die mich, entweder
raſch und gewaltſam, oder leiſe und unmerklich zur Geſellig¬
keit zurückführten. So iſt auch jetzt mein ſtill vergnügtes
Daſein nicht mehr ganz ſo einſam und abgeſchieden, wie ich
es mir für dieſen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des
Hauſes iſt nämlich mit ſeiner Frau, die eben erſt Mutter ge¬
worden, und dem ſechsjährigen Töchterchen eines verſtorbenen
Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat ſeine Aufgabe an der
Strecke gelöſ't und wird nun wieder im Bureau verwendet.
Da ging es ſogleich lebhaft und geräuſchvoll in meiner Nähe
zu. Kiſten und Kaſten waren abgeladen worden; man brachte
a llerlei Möbel und Geräthſchaften zum Lüften und Scheuern

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[84/0100] und doch wieder ſo erdenfremd, ſo emporgehoben über das Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über die Leiden und Freuden dieſer Welt! Ende Mai. „Wer ſich der Einſamkeit ergiebt, iſt bald allein,“ ſingt Göthe's Harfner. In gewiſſem Sinne iſt es wahr; aber eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬ fahren. Denn ſo oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und mich durch die Umſtände wohl verſchanzt und geborgen glaubte, traten auch bald wieder Ereigniſſe ein, die mich, entweder raſch und gewaltſam, oder leiſe und unmerklich zur Geſellig¬ keit zurückführten. So iſt auch jetzt mein ſtill vergnügtes Daſein nicht mehr ganz ſo einſam und abgeſchieden, wie ich es mir für dieſen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des Hauſes iſt nämlich mit ſeiner Frau, die eben erſt Mutter ge¬ worden, und dem ſechsjährigen Töchterchen eines verſtorbenen Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat ſeine Aufgabe an der Strecke gelöſ't und wird nun wieder im Bureau verwendet. Da ging es ſogleich lebhaft und geräuſchvoll in meiner Nähe zu. Kiſten und Kaſten waren abgeladen worden; man brachte a llerlei Möbel und Geräthſchaften zum Lüften und Scheuern

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/100>, abgerufen am 24.11.2024.