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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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willigst aufgenommen hatte. Er war schon ziemlich bejahrt,
weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufsehers
am zoologischen Museum der Stadt. Er brachte öfter seltene
Thiere mit nach Hause; denn zu seinen Obliegenheiten gehörte
es, dieselben auszubälgen oder in Weingeist zu setzen. Dabei
mußt' ich ihm nun helfen, und auf diese Art erwachte in mir
der Hang zum Studium der Natur und schlug immer tiefer
in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unseren Gymnasien zu
jener Zeit selbst die Anfangsgründe der Naturwissenschaften
engherziger Rücksichten halber von den Lehrgegenständen noch
ausgeschlossen waren, so wendete ich meinen geringen Spar¬
pfennig daran, mir einige einschlägige und leichtfaßliche Bücher
zu erwerben. Oft verweilte ich stundenlang in den lautlosen
Sälen des Museums, zu denen mein Pflegevater die Schlüssel
hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verschieden¬
artigsten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie
lebendig, mit seltsam stieren Blicken anzusehen schien, so daß
ich mich anfangs eines leisen Schauders nicht hatte erwehren
können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden
und meine kindliche Phantasie brachte Athem und Bewegung
in die starren Gestalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen
und den schön gefleckten Königstiger aus ihrem gläsernen Ge¬
fängniß heraustreten und majestätisch einen hohen Palmenwald
durchschreiten, wo die Abgottschlange zwischen leuchtenden Blumen
den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletschende Affen an

willigſt aufgenommen hatte. Er war ſchon ziemlich bejahrt,
weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufſehers
am zoologiſchen Muſeum der Stadt. Er brachte öfter ſeltene
Thiere mit nach Hauſe; denn zu ſeinen Obliegenheiten gehörte
es, dieſelben auszubälgen oder in Weingeiſt zu ſetzen. Dabei
mußt' ich ihm nun helfen, und auf dieſe Art erwachte in mir
der Hang zum Studium der Natur und ſchlug immer tiefer
in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unſeren Gymnaſien zu
jener Zeit ſelbſt die Anfangsgründe der Naturwiſſenſchaften
engherziger Rückſichten halber von den Lehrgegenſtänden noch
ausgeſchloſſen waren, ſo wendete ich meinen geringen Spar¬
pfennig daran, mir einige einſchlägige und leichtfaßliche Bücher
zu erwerben. Oft verweilte ich ſtundenlang in den lautloſen
Sälen des Muſeums, zu denen mein Pflegevater die Schlüſſel
hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verſchieden¬
artigſten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie
lebendig, mit ſeltſam ſtieren Blicken anzuſehen ſchien, ſo daß
ich mich anfangs eines leiſen Schauders nicht hatte erwehren
können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden
und meine kindliche Phantaſie brachte Athem und Bewegung
in die ſtarren Geſtalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen
und den ſchön gefleckten Königſtiger aus ihrem gläſernen Ge¬
fängniß heraustreten und majeſtätiſch einen hohen Palmenwald
durchſchreiten, wo die Abgottſchlange zwiſchen leuchtenden Blumen
den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletſchende Affen an

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[37/0053] willigſt aufgenommen hatte. Er war ſchon ziemlich bejahrt, weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufſehers am zoologiſchen Muſeum der Stadt. Er brachte öfter ſeltene Thiere mit nach Hauſe; denn zu ſeinen Obliegenheiten gehörte es, dieſelben auszubälgen oder in Weingeiſt zu ſetzen. Dabei mußt' ich ihm nun helfen, und auf dieſe Art erwachte in mir der Hang zum Studium der Natur und ſchlug immer tiefer in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unſeren Gymnaſien zu jener Zeit ſelbſt die Anfangsgründe der Naturwiſſenſchaften engherziger Rückſichten halber von den Lehrgegenſtänden noch ausgeſchloſſen waren, ſo wendete ich meinen geringen Spar¬ pfennig daran, mir einige einſchlägige und leichtfaßliche Bücher zu erwerben. Oft verweilte ich ſtundenlang in den lautloſen Sälen des Muſeums, zu denen mein Pflegevater die Schlüſſel hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verſchieden¬ artigſten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie lebendig, mit ſeltſam ſtieren Blicken anzuſehen ſchien, ſo daß ich mich anfangs eines leiſen Schauders nicht hatte erwehren können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden und meine kindliche Phantaſie brachte Athem und Bewegung in die ſtarren Geſtalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen und den ſchön gefleckten Königſtiger aus ihrem gläſernen Ge¬ fängniß heraustreten und majeſtätiſch einen hohen Palmenwald durchſchreiten, wo die Abgottſchlange zwiſchen leuchtenden Blumen den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletſchende Affen an

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/53>, abgerufen am 24.11.2024.