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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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menschlichen Schwächen und Fehlern schonungslos controllirt,
erscheint er der Mehrzahl der Bevölkerung nur als der zu¬
fällige Träger eines gedankenlos überkommenen und ausgeübten
Cultus."

Ich glaubte zu träumen. Diese Worte klangen so außer¬
ordentlich, so überraschend aus dem Munde eines katholischen
Priesters; waren in einem so ruhigen Tone tiefer, im Inner¬
sten wurzelnder Ueberzeugung gesprochen, daß ich in schweigende
Bewunderung versank. So trat eine Pause ein, während
welcher wir Beide nach der Sonne blickten, die uns gegenüber,
in einem Meere von Glanz schwimmend, langsam hinter den
Höhen hinabtauchte.

"Ich denke, wir gehen, eh' es völlig Nacht wird," sagte
endlich der Pater. Wir erhoben uns und schritten still neben
einander hin. Als wir uns der Kirche näherten, suchten meine
Augen unwillkürlich den weißen Obelisk im Dämmerdunkel
des Friedhofes. Dabei erwähnte ich des tiefen Eindruckes, den
dieser Grabstein letzthin in mir hervorgebracht.

Etwas wie der Schatten einer Erinnerung legte sich über
das Antlitz meines Begleiters; und als ich fragte, ob er mir
vielleicht Näheres über die Todte mittheilen könnte, sagte er,
indem er gedankenvoll vor sich hinsah: "Sie war das einzige
Kind eines Großhändlers und die erste Leiche, die ich hier
oben bestattete."

Wir waren mittlerweile vor dem Priesterhause angelangt.

menſchlichen Schwächen und Fehlern ſchonungslos controllirt,
erſcheint er der Mehrzahl der Bevölkerung nur als der zu¬
fällige Träger eines gedankenlos überkommenen und ausgeübten
Cultus.“

Ich glaubte zu träumen. Dieſe Worte klangen ſo außer¬
ordentlich, ſo überraſchend aus dem Munde eines katholiſchen
Prieſters; waren in einem ſo ruhigen Tone tiefer, im Inner¬
ſten wurzelnder Ueberzeugung geſprochen, daß ich in ſchweigende
Bewunderung verſank. So trat eine Pauſe ein, während
welcher wir Beide nach der Sonne blickten, die uns gegenüber,
in einem Meere von Glanz ſchwimmend, langſam hinter den
Höhen hinabtauchte.

„Ich denke, wir gehen, eh' es völlig Nacht wird,“ ſagte
endlich der Pater. Wir erhoben uns und ſchritten ſtill neben
einander hin. Als wir uns der Kirche näherten, ſuchten meine
Augen unwillkürlich den weißen Obelisk im Dämmerdunkel
des Friedhofes. Dabei erwähnte ich des tiefen Eindruckes, den
dieſer Grabſtein letzthin in mir hervorgebracht.

Etwas wie der Schatten einer Erinnerung legte ſich über
das Antlitz meines Begleiters; und als ich fragte, ob er mir
vielleicht Näheres über die Todte mittheilen könnte, ſagte er,
indem er gedankenvoll vor ſich hinſah: „Sie war das einzige
Kind eines Großhändlers und die erſte Leiche, die ich hier
oben beſtattete.“

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[23/0039] menſchlichen Schwächen und Fehlern ſchonungslos controllirt, erſcheint er der Mehrzahl der Bevölkerung nur als der zu¬ fällige Träger eines gedankenlos überkommenen und ausgeübten Cultus.“ Ich glaubte zu träumen. Dieſe Worte klangen ſo außer¬ ordentlich, ſo überraſchend aus dem Munde eines katholiſchen Prieſters; waren in einem ſo ruhigen Tone tiefer, im Inner¬ ſten wurzelnder Ueberzeugung geſprochen, daß ich in ſchweigende Bewunderung verſank. So trat eine Pauſe ein, während welcher wir Beide nach der Sonne blickten, die uns gegenüber, in einem Meere von Glanz ſchwimmend, langſam hinter den Höhen hinabtauchte. „Ich denke, wir gehen, eh' es völlig Nacht wird,“ ſagte endlich der Pater. Wir erhoben uns und ſchritten ſtill neben einander hin. Als wir uns der Kirche näherten, ſuchten meine Augen unwillkürlich den weißen Obelisk im Dämmerdunkel des Friedhofes. Dabei erwähnte ich des tiefen Eindruckes, den dieſer Grabſtein letzthin in mir hervorgebracht. Etwas wie der Schatten einer Erinnerung legte ſich über das Antlitz meines Begleiters; und als ich fragte, ob er mir vielleicht Näheres über die Todte mittheilen könnte, ſagte er, indem er gedankenvoll vor ſich hinſah: „Sie war das einzige Kind eines Großhändlers und die erſte Leiche, die ich hier oben beſtattete.“ Wir waren mittlerweile vor dem Prieſterhauſe angelangt.

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/39>, abgerufen am 24.11.2024.