der Mund erschien voller und weicher, und die Augen strahlten im reinsten Blau des Himmels.
"Wo ist Mama, mein Kind?" fuhr der Freiherr schmei¬ chelnd fort.
"Ich glaube, sie ist mit Egon im Salon", antwortete sie mit tiefer, wohlklingender Stimme, die mich überzeugte, daß ich auch die Sängerin des Liedes vor mir hatte.
Die Brauen des Freiherrn zogen sich leicht zusammen. Dann wandte er sich an mich und sagte förmlich: "Wenn es Ihnen gefällig ist, will ich Sie jetzt meiner Gemahlin vor¬ stellen."
Er öffnete eine zweite Seitenthüre, und während seine Tochter voranging, durchschritten wir eine Flucht von reich ausgestatteten Gemächern, bis wir endlich in den Salon ge¬ langten. Mein Athem stockte ein wenig, als ich den weiten, dämmerigen Raum betrat, hinter dessen herabgelassenen Por¬ tieren der Altan des Schlosses lag. Auf einer niederen Otto¬ mane, weit zurückgelehnt und in leichte, schimmernde Gewänder gehüllt, saß die Dame des Hauses; neben ihr, in einem Fau¬ teuil, ein junger Mann, der sich bei unserem Erscheinen erhob und dabei durch seinen auffallend hohen Wuchs überraschte. Die Freifrau empfing mich, ohne ihre Lage zu verändern, freundlich vornehm, und half mir sogleich mit einigen aufmun¬ ternden Worten über die erste Befangenheit hinweg. Dann
Saar, Novellen aus Osterreich. 17
der Mund erſchien voller und weicher, und die Augen ſtrahlten im reinſten Blau des Himmels.
„Ich glaube, ſie iſt mit Egon im Salon“, antwortete ſie mit tiefer, wohlklingender Stimme, die mich überzeugte, daß ich auch die Sängerin des Liedes vor mir hatte.
Die Brauen des Freiherrn zogen ſich leicht zuſammen. Dann wandte er ſich an mich und ſagte förmlich: „Wenn es Ihnen gefällig iſt, will ich Sie jetzt meiner Gemahlin vor¬ ſtellen.“
Er öffnete eine zweite Seitenthüre, und während ſeine Tochter voranging, durchſchritten wir eine Flucht von reich ausgeſtatteten Gemächern, bis wir endlich in den Salon ge¬ langten. Mein Athem ſtockte ein wenig, als ich den weiten, dämmerigen Raum betrat, hinter deſſen herabgelaſſenen Por¬ tièren der Altan des Schloſſes lag. Auf einer niederen Otto¬ mane, weit zurückgelehnt und in leichte, ſchimmernde Gewänder gehüllt, ſaß die Dame des Hauſes; neben ihr, in einem Fau¬ teuil, ein junger Mann, der ſich bei unſerem Erſcheinen erhob und dabei durch ſeinen auffallend hohen Wuchs überraſchte. Die Freifrau empfing mich, ohne ihre Lage zu verändern, freundlich vornehm, und half mir ſogleich mit einigen aufmun¬ ternden Worten über die erſte Befangenheit hinweg. Dann
Saar, Novellen aus Oſterreich. 17
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der Mund erſchien voller und weicher, und die Augen ſtrahlten
im reinſten Blau des Himmels.
„Wo iſt Mama, mein Kind?“ fuhr der Freiherr ſchmei¬
chelnd fort.
„Ich glaube, ſie iſt mit Egon im Salon“, antwortete ſie
mit tiefer, wohlklingender Stimme, die mich überzeugte, daß
ich auch die Sängerin des Liedes vor mir hatte.
Die Brauen des Freiherrn zogen ſich leicht zuſammen.
Dann wandte er ſich an mich und ſagte förmlich: „Wenn
es Ihnen gefällig iſt, will ich Sie jetzt meiner Gemahlin vor¬
ſtellen.“
Er öffnete eine zweite Seitenthüre, und während ſeine
Tochter voranging, durchſchritten wir eine Flucht von reich
ausgeſtatteten Gemächern, bis wir endlich in den Salon ge¬
langten. Mein Athem ſtockte ein wenig, als ich den weiten,
dämmerigen Raum betrat, hinter deſſen herabgelaſſenen Por¬
tièren der Altan des Schloſſes lag. Auf einer niederen Otto¬
mane, weit zurückgelehnt und in leichte, ſchimmernde Gewänder
gehüllt, ſaß die Dame des Hauſes; neben ihr, in einem Fau¬
teuil, ein junger Mann, der ſich bei unſerem Erſcheinen erhob
und dabei durch ſeinen auffallend hohen Wuchs überraſchte.
Die Freifrau empfing mich, ohne ihre Lage zu verändern,
freundlich vornehm, und half mir ſogleich mit einigen aufmun¬
ternden Worten über die erſte Befangenheit hinweg. Dann
Saar, Novellen aus Oſterreich. 17
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/273>, abgerufen am 18.07.2024.
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