Stolze abgewiesen hatte. Ich war von der Liebe des Ent¬ fernten, welcher zuweilen selbst in scherzhaften Briefen seiner Erfolge beim weiblichen Geschlechte erwähnte, um so mehr überzeugt, als er stets durchblicken ließ, wie er nur den Zeit¬ punkt einer sicheren und dauernden Stellung erwarte, um mich zu sich zu rufen. Da trat er, nachdem ich lange nichts von ihm gehört, plötzlich bei uns ein. Aber in welchem Zustande! Krank, gebrochen, herabgekommen -- ein Bild männlichen Elends. Er hatte seine Stimme verloren, Gläubiger verfolg¬ ten ihn und da seine Eltern, welche ihm ihr ganzes Vermögen zum Opfer gebracht, gestorben waren, wußte er nicht, wohin er sein Haupt legen sollte. Ich liebte und liebe ihn so", setzte sie mit zitternder Stimme hinzu, "daß ich auf all' das kein Gewicht legte und selig war, ihn wieder bei mir zu haben. Auch mein Vater hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet und Jeder von uns Einiges hinterlassen. So wenig es war, mein Theil genügte, ihn von den drückendsten Sorgen zu befreien. Er bezog eine Wohnung in unserer Nähe; ich pflegte ihn, ich sorgte für seine Bedürfnisse und legte auf seine abenteuerlichen Pläne, sich eine neue Existenz zu gründen, gar kein Gewicht. Durch meine Kunst, die ich nun mit den Schwestern öffentlich auszuüben begann, erschlossen sich mir neue Einnahmsquellen, und somit wäre Alles gut gewesen, wenn nicht, nachdem er genesen war, sein unvertilgbarer Leichtsinn wieder die Ober¬ hand gewonnen hätte. Er stürzte sich neuerdings in Schulden¬
Stolze abgewieſen hatte. Ich war von der Liebe des Ent¬ fernten, welcher zuweilen ſelbſt in ſcherzhaften Briefen ſeiner Erfolge beim weiblichen Geſchlechte erwähnte, um ſo mehr überzeugt, als er ſtets durchblicken ließ, wie er nur den Zeit¬ punkt einer ſicheren und dauernden Stellung erwarte, um mich zu ſich zu rufen. Da trat er, nachdem ich lange nichts von ihm gehört, plötzlich bei uns ein. Aber in welchem Zuſtande! Krank, gebrochen, herabgekommen — ein Bild männlichen Elends. Er hatte ſeine Stimme verloren, Gläubiger verfolg¬ ten ihn und da ſeine Eltern, welche ihm ihr ganzes Vermögen zum Opfer gebracht, geſtorben waren, wußte er nicht, wohin er ſein Haupt legen ſollte. Ich liebte und liebe ihn ſo“, ſetzte ſie mit zitternder Stimme hinzu, „daß ich auf all' das kein Gewicht legte und ſelig war, ihn wieder bei mir zu haben. Auch mein Vater hatte inzwiſchen das Zeitliche geſegnet und Jeder von uns Einiges hinterlaſſen. So wenig es war, mein Theil genügte, ihn von den drückendſten Sorgen zu befreien. Er bezog eine Wohnung in unſerer Nähe; ich pflegte ihn, ich ſorgte für ſeine Bedürfniſſe und legte auf ſeine abenteuerlichen Pläne, ſich eine neue Exiſtenz zu gründen, gar kein Gewicht. Durch meine Kunſt, die ich nun mit den Schweſtern öffentlich auszuüben begann, erſchloſſen ſich mir neue Einnahmsquellen, und ſomit wäre Alles gut geweſen, wenn nicht, nachdem er geneſen war, ſein unvertilgbarer Leichtſinn wieder die Ober¬ hand gewonnen hätte. Er ſtürzte ſich neuerdings in Schulden¬
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Stolze abgewieſen hatte. Ich war von der Liebe des Ent¬
fernten, welcher zuweilen ſelbſt in ſcherzhaften Briefen ſeiner
Erfolge beim weiblichen Geſchlechte erwähnte, um ſo mehr
überzeugt, als er ſtets durchblicken ließ, wie er nur den Zeit¬
punkt einer ſicheren und dauernden Stellung erwarte, um mich
zu ſich zu rufen. Da trat er, nachdem ich lange nichts von
ihm gehört, plötzlich bei uns ein. Aber in welchem Zuſtande!
Krank, gebrochen, herabgekommen — ein Bild männlichen
Elends. Er hatte ſeine Stimme verloren, Gläubiger verfolg¬
ten ihn und da ſeine Eltern, welche ihm ihr ganzes Vermögen
zum Opfer gebracht, geſtorben waren, wußte er nicht, wohin
er ſein Haupt legen ſollte. Ich liebte und liebe ihn ſo“, ſetzte
ſie mit zitternder Stimme hinzu, „daß ich auf all' das kein
Gewicht legte und ſelig war, ihn wieder bei mir zu haben.
Auch mein Vater hatte inzwiſchen das Zeitliche geſegnet und
Jeder von uns Einiges hinterlaſſen. So wenig es war, mein
Theil genügte, ihn von den drückendſten Sorgen zu befreien.
Er bezog eine Wohnung in unſerer Nähe; ich pflegte ihn, ich
ſorgte für ſeine Bedürfniſſe und legte auf ſeine abenteuerlichen
Pläne, ſich eine neue Exiſtenz zu gründen, gar kein Gewicht.
Durch meine Kunſt, die ich nun mit den Schweſtern öffentlich
auszuüben begann, erſchloſſen ſich mir neue Einnahmsquellen,
und ſomit wäre Alles gut geweſen, wenn nicht, nachdem er
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/237>, abgerufen am 27.11.2024.
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