Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

doch zu vorherrschend, als daß ich diesen Hang nicht als etwas
Störendes, ja geradezu Feindseliges empfinden und nicht in
jeder Weise bemüht sein sollte, ihn abzulenken und zu ersticken.
Und so kann ich mich mit weit mehr Recht einen Asketen
nennen, als die Meisten, welche vor der Welt die Abzeichen
der Entsagung zur Schau tragen. Von Zeit zu Zeit jedoch
bricht dieses niedergehaltene Element plötzlich mit aller Macht
hervor und ich werde dann, wie ich überhaupt zu Extremen
neige, unaufhaltsam getrieben, mich aus meiner stillen Einsam¬
keit heraus in den vollsten Strom, ja vielleicht auch ein wenig
in den Pfuhl des Lebens zu stürzen; freilich nur, um allso¬
gleich wieder, ernüchtert und vor mir selbst beschämt, in den
reinen Aether meiner Arbeiten zurückzukehren. So geschah es
auch einmal im Carneval. Ich hatte mich an einigen halb¬
wahren Büchern, die eben großes Aufsehen erregten, müd und
ärgerlich gelesen. Ich war geistig verstimmt und sehnte mich
ordentlich nach Menschen, die nichts Höheres in's Auge fassen
und, nur auf das Nächste beschränkt, gedankenlos in den Tag
hineinleben. Es waren damals gerade die Maskenbälle bei
uns in Schwung gekommen und ich hatte Manches von dem
tollen Treiben gehört, das dabei herrsche. Namentlich sollten
jene, die in einem großen, außerhalb der Linie gelegenen Ver¬
gnügungslocale stattfanden, in dieser Hinsicht alles Dagewesene
überbieten. Dorthin wollte ich nun wollte mich unter die
ausgelassene Menge mischen und, wenn es sich fügte, auch ein

doch zu vorherrſchend, als daß ich dieſen Hang nicht als etwas
Störendes, ja geradezu Feindſeliges empfinden und nicht in
jeder Weiſe bemüht ſein ſollte, ihn abzulenken und zu erſticken.
Und ſo kann ich mich mit weit mehr Recht einen Asketen
nennen, als die Meiſten, welche vor der Welt die Abzeichen
der Entſagung zur Schau tragen. Von Zeit zu Zeit jedoch
bricht dieſes niedergehaltene Element plötzlich mit aller Macht
hervor und ich werde dann, wie ich überhaupt zu Extremen
neige, unaufhaltſam getrieben, mich aus meiner ſtillen Einſam¬
keit heraus in den vollſten Strom, ja vielleicht auch ein wenig
in den Pfuhl des Lebens zu ſtürzen; freilich nur, um allſo¬
gleich wieder, ernüchtert und vor mir ſelbſt beſchämt, in den
reinen Aether meiner Arbeiten zurückzukehren. So geſchah es
auch einmal im Carneval. Ich hatte mich an einigen halb¬
wahren Büchern, die eben großes Aufſehen erregten, müd und
ärgerlich geleſen. Ich war geiſtig verſtimmt und ſehnte mich
ordentlich nach Menſchen, die nichts Höheres in's Auge faſſen
und, nur auf das Nächſte beſchränkt, gedankenlos in den Tag
hineinleben. Es waren damals gerade die Maskenbälle bei
uns in Schwung gekommen und ich hatte Manches von dem
tollen Treiben gehört, das dabei herrſche. Namentlich ſollten
jene, die in einem großen, außerhalb der Linie gelegenen Ver¬
gnügungslocale ſtattfanden, in dieſer Hinſicht alles Dageweſene
überbieten. Dorthin wollte ich nun wollte mich unter die
ausgelaſſene Menge miſchen und, wenn es ſich fügte, auch ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="199"/>
doch zu vorherr&#x017F;chend, als daß ich die&#x017F;en Hang nicht als etwas<lb/>
Störendes, ja geradezu Feind&#x017F;eliges empfinden und nicht in<lb/>
jeder Wei&#x017F;e bemüht &#x017F;ein &#x017F;ollte, ihn abzulenken und zu er&#x017F;ticken.<lb/>
Und &#x017F;o kann ich mich mit weit mehr Recht einen Asketen<lb/>
nennen, als die Mei&#x017F;ten, welche vor der Welt die Abzeichen<lb/>
der Ent&#x017F;agung zur Schau tragen. Von Zeit zu Zeit jedoch<lb/>
bricht die&#x017F;es niedergehaltene Element plötzlich mit aller Macht<lb/>
hervor und ich werde dann, wie ich überhaupt zu Extremen<lb/>
neige, unaufhalt&#x017F;am getrieben, mich aus meiner &#x017F;tillen Ein&#x017F;am¬<lb/>
keit heraus in den voll&#x017F;ten Strom, ja vielleicht auch ein wenig<lb/>
in den Pfuhl des Lebens zu &#x017F;türzen; freilich nur, um all&#x017F;<lb/>
gleich wieder, ernüchtert und vor mir &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;chämt, in den<lb/>
reinen Aether meiner Arbeiten zurückzukehren. So ge&#x017F;chah es<lb/>
auch einmal im Carneval. Ich hatte mich an einigen halb¬<lb/>
wahren Büchern, die eben großes Auf&#x017F;ehen erregten, müd und<lb/>
ärgerlich gele&#x017F;en. Ich war gei&#x017F;tig ver&#x017F;timmt und &#x017F;ehnte mich<lb/>
ordentlich nach Men&#x017F;chen, die nichts Höheres in's Auge fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und, nur auf das Näch&#x017F;te be&#x017F;chränkt, gedankenlos in den Tag<lb/>
hineinleben. Es waren damals gerade die Maskenbälle bei<lb/>
uns in Schwung gekommen und ich hatte Manches von dem<lb/>
tollen Treiben gehört, das dabei herr&#x017F;che. Namentlich &#x017F;ollten<lb/>
jene, die in einem großen, außerhalb der Linie gelegenen Ver¬<lb/>
gnügungslocale &#x017F;tattfanden, in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht alles Dagewe&#x017F;ene<lb/>
überbieten. Dorthin wollte ich nun wollte mich unter die<lb/>
ausgela&#x017F;&#x017F;ene Menge mi&#x017F;chen und, wenn es &#x017F;ich fügte, auch ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0215] doch zu vorherrſchend, als daß ich dieſen Hang nicht als etwas Störendes, ja geradezu Feindſeliges empfinden und nicht in jeder Weiſe bemüht ſein ſollte, ihn abzulenken und zu erſticken. Und ſo kann ich mich mit weit mehr Recht einen Asketen nennen, als die Meiſten, welche vor der Welt die Abzeichen der Entſagung zur Schau tragen. Von Zeit zu Zeit jedoch bricht dieſes niedergehaltene Element plötzlich mit aller Macht hervor und ich werde dann, wie ich überhaupt zu Extremen neige, unaufhaltſam getrieben, mich aus meiner ſtillen Einſam¬ keit heraus in den vollſten Strom, ja vielleicht auch ein wenig in den Pfuhl des Lebens zu ſtürzen; freilich nur, um allſo¬ gleich wieder, ernüchtert und vor mir ſelbſt beſchämt, in den reinen Aether meiner Arbeiten zurückzukehren. So geſchah es auch einmal im Carneval. Ich hatte mich an einigen halb¬ wahren Büchern, die eben großes Aufſehen erregten, müd und ärgerlich geleſen. Ich war geiſtig verſtimmt und ſehnte mich ordentlich nach Menſchen, die nichts Höheres in's Auge faſſen und, nur auf das Nächſte beſchränkt, gedankenlos in den Tag hineinleben. Es waren damals gerade die Maskenbälle bei uns in Schwung gekommen und ich hatte Manches von dem tollen Treiben gehört, das dabei herrſche. Namentlich ſollten jene, die in einem großen, außerhalb der Linie gelegenen Ver¬ gnügungslocale ſtattfanden, in dieſer Hinſicht alles Dageweſene überbieten. Dorthin wollte ich nun wollte mich unter die ausgelaſſene Menge miſchen und, wenn es ſich fügte, auch ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/215
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/215>, abgerufen am 23.11.2024.