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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Ein reifer, außerordentlicher Geist hatte es hier unternommen,
politische und sociale Verhältnisse in einer Weise zu beleuchten,
welche mit den allgemeinen Anschauungen in directem Wider¬
spruche standen, und hatte Perspectiven in die Zukunft eröff¬
net, deren paradoxe Fassung das Befremden, ja den Unwillen
der meisten Leser erregen mußte; so zwar, daß ich mich wun¬
derte, wie ein den augenblicklichen Tagesinteressen dienendes
Organ derlei in seine Spalten habe aufnehmen können. In
der That brachen auch jene Artikel plötzlich ab; tauchten noch
hin und wieder in anderen Journalen auf, bis sie endlich
ganz verschwanden. Es ging hervor, daß er der Verfasser
sei, und ich fand durch ihn selbst meine Vermuthung bestätigt,
daß sich die Zeitungen nicht länger mit ihm hatten compro¬
mittiren wollen. "Ich bin übrigens froh", setzte er hinzu,
"daß man mich der Mühe des Schreibens überhoben hat.
Denn es bleibt doch immer eine Qual, seine Gedanken zu
Papier zu bringen. Und wozu den Leuten Wahrheiten sagen,
die sie doch nicht hören wollen und an welchen sich dereinst
ihre Enkel die Stirne blutig stoßen werden." Ich erfuhr auch,
daß er seiner Zeit eine nicht unbedeutende öffentliche Stellung
innegehabt. Leitende Persönlichkeiten waren auf seine Kennt¬
nisse und Fähigkeiten aufmerksam geworden und hatten diesel¬
ben in der redlichsten Absicht für ihre Zwecke ausnützen wollen.
Aber es erwies sich gar bald, daß diese eigenthümliche Natur
nicht geschaffen war, sich fremden Absichten unterzuordnen, und

Ein reifer, außerordentlicher Geiſt hatte es hier unternommen,
politiſche und ſociale Verhältniſſe in einer Weiſe zu beleuchten,
welche mit den allgemeinen Anſchauungen in directem Wider¬
ſpruche ſtanden, und hatte Perſpectiven in die Zukunft eröff¬
net, deren paradoxe Faſſung das Befremden, ja den Unwillen
der meiſten Leſer erregen mußte; ſo zwar, daß ich mich wun¬
derte, wie ein den augenblicklichen Tagesintereſſen dienendes
Organ derlei in ſeine Spalten habe aufnehmen können. In
der That brachen auch jene Artikel plötzlich ab; tauchten noch
hin und wieder in anderen Journalen auf, bis ſie endlich
ganz verſchwanden. Es ging hervor, daß er der Verfaſſer
ſei, und ich fand durch ihn ſelbſt meine Vermuthung beſtätigt,
daß ſich die Zeitungen nicht länger mit ihm hatten compro¬
mittiren wollen. „Ich bin übrigens froh“, ſetzte er hinzu,
„daß man mich der Mühe des Schreibens überhoben hat.
Denn es bleibt doch immer eine Qual, ſeine Gedanken zu
Papier zu bringen. Und wozu den Leuten Wahrheiten ſagen,
die ſie doch nicht hören wollen und an welchen ſich dereinſt
ihre Enkel die Stirne blutig ſtoßen werden.“ Ich erfuhr auch,
daß er ſeiner Zeit eine nicht unbedeutende öffentliche Stellung
innegehabt. Leitende Perſönlichkeiten waren auf ſeine Kennt¬
niſſe und Fähigkeiten aufmerkſam geworden und hatten dieſel¬
ben in der redlichſten Abſicht für ihre Zwecke ausnützen wollen.
Aber es erwies ſich gar bald, daß dieſe eigenthümliche Natur
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[190/0206] Ein reifer, außerordentlicher Geiſt hatte es hier unternommen, politiſche und ſociale Verhältniſſe in einer Weiſe zu beleuchten, welche mit den allgemeinen Anſchauungen in directem Wider¬ ſpruche ſtanden, und hatte Perſpectiven in die Zukunft eröff¬ net, deren paradoxe Faſſung das Befremden, ja den Unwillen der meiſten Leſer erregen mußte; ſo zwar, daß ich mich wun¬ derte, wie ein den augenblicklichen Tagesintereſſen dienendes Organ derlei in ſeine Spalten habe aufnehmen können. In der That brachen auch jene Artikel plötzlich ab; tauchten noch hin und wieder in anderen Journalen auf, bis ſie endlich ganz verſchwanden. Es ging hervor, daß er der Verfaſſer ſei, und ich fand durch ihn ſelbſt meine Vermuthung beſtätigt, daß ſich die Zeitungen nicht länger mit ihm hatten compro¬ mittiren wollen. „Ich bin übrigens froh“, ſetzte er hinzu, „daß man mich der Mühe des Schreibens überhoben hat. Denn es bleibt doch immer eine Qual, ſeine Gedanken zu Papier zu bringen. Und wozu den Leuten Wahrheiten ſagen, die ſie doch nicht hören wollen und an welchen ſich dereinſt ihre Enkel die Stirne blutig ſtoßen werden.“ Ich erfuhr auch, daß er ſeiner Zeit eine nicht unbedeutende öffentliche Stellung innegehabt. Leitende Perſönlichkeiten waren auf ſeine Kennt¬ niſſe und Fähigkeiten aufmerkſam geworden und hatten dieſel¬ ben in der redlichſten Abſicht für ihre Zwecke ausnützen wollen. Aber es erwies ſich gar bald, daß dieſe eigenthümliche Natur nicht geſchaffen war, ſich fremden Abſichten unterzuordnen, und

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/206>, abgerufen am 23.11.2024.