Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

gehenden. Es gibt ganz nette Gesichter unter den hiesigen
Mädchen. Auch fehlt es nicht an Besuch von Cameraden,
und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬
girt. Hier oben aber ist man von aller Welt abgeschnitten,
wie auf einer wüsten Insel. Du hast es übrigens," setzte er
nach kurzem Besinnen hinzu, "doch etwas besser getroffen, als
ich. Denn morgen ist Sonntag, und da kommen wenigstens
Leute in die Messe herauf."

"In die Messe? Ist denn hier eine Kirche?" fragte ich
überrascht.

"Allerdings. Etwa tausend Schritte von hier, gegen die
Moldau zu," sagte er, während ich unwillkürlich nach dem
Innern des Forts blickte. Aber die Aussicht war durch eine
nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die
Wetterstangen und spitzen Bedachungen der Pulvermagazine
hervorragten. "Um sie zu sehen," fuhr der Baron fort, "müßtest
Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu hast Du später Muße
genug. Ein kleiner Friedhof ist auch dabei, wo ich mich gleich
würde begraben lassen, wenn ich beständig hier oben leben
sollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloster
neben der Kirche wohnt. Ein seltsamer Kauz! Man muß
lachen, wenn man ihn mit seinen langen Beinen und der
schlenkernden Kutte, beständig ein Buch unter dem Arm, ein¬
hersteigen sieht. Dabei schaut er immer in's Blaue, und thut, als
bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt."

gehenden. Es gibt ganz nette Geſichter unter den hieſigen
Mädchen. Auch fehlt es nicht an Beſuch von Cameraden,
und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬
girt. Hier oben aber iſt man von aller Welt abgeſchnitten,
wie auf einer wüſten Inſel. Du haſt es übrigens,“ ſetzte er
nach kurzem Beſinnen hinzu, „doch etwas beſſer getroffen, als
ich. Denn morgen iſt Sonntag, und da kommen wenigſtens
Leute in die Meſſe herauf.“

„In die Meſſe? Iſt denn hier eine Kirche?“ fragte ich
überraſcht.

„Allerdings. Etwa tauſend Schritte von hier, gegen die
Moldau zu,“ ſagte er, während ich unwillkürlich nach dem
Innern des Forts blickte. Aber die Ausſicht war durch eine
nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die
Wetterſtangen und ſpitzen Bedachungen der Pulvermagazine
hervorragten. „Um ſie zu ſehen,“ fuhr der Baron fort, „müßteſt
Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu haſt Du ſpäter Muße
genug. Ein kleiner Friedhof iſt auch dabei, wo ich mich gleich
würde begraben laſſen, wenn ich beſtändig hier oben leben
ſollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloſter
neben der Kirche wohnt. Ein ſeltſamer Kauz! Man muß
lachen, wenn man ihn mit ſeinen langen Beinen und der
ſchlenkernden Kutte, beſtändig ein Buch unter dem Arm, ein¬
herſteigen ſieht. Dabei ſchaut er immer in's Blaue, und thut, als
bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0020" n="4"/>
gehenden. Es gibt ganz nette Ge&#x017F;ichter unter den hie&#x017F;igen<lb/>
Mädchen. Auch fehlt es nicht an Be&#x017F;uch von Cameraden,<lb/>
und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬<lb/>
girt. Hier oben aber i&#x017F;t man von aller Welt abge&#x017F;chnitten,<lb/>
wie auf einer wü&#x017F;ten In&#x017F;el. Du ha&#x017F;t es übrigens,&#x201C; &#x017F;etzte er<lb/>
nach kurzem Be&#x017F;innen hinzu, &#x201E;doch etwas be&#x017F;&#x017F;er getroffen, als<lb/>
ich. Denn morgen i&#x017F;t Sonntag, und da kommen wenig&#x017F;tens<lb/>
Leute in die Me&#x017F;&#x017F;e herauf.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;In die Me&#x017F;&#x017F;e? I&#x017F;t denn hier eine Kirche?&#x201C; fragte ich<lb/>
überra&#x017F;cht.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Allerdings. Etwa tau&#x017F;end Schritte von hier, gegen die<lb/>
Moldau zu,&#x201C; &#x017F;agte er, während ich unwillkürlich nach dem<lb/>
Innern des Forts blickte. Aber die Aus&#x017F;icht war durch eine<lb/>
nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die<lb/>
Wetter&#x017F;tangen und &#x017F;pitzen Bedachungen der Pulvermagazine<lb/>
hervorragten. &#x201E;Um &#x017F;ie zu &#x017F;ehen,&#x201C; fuhr der Baron fort, &#x201E;müßte&#x017F;t<lb/>
Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu ha&#x017F;t Du &#x017F;päter Muße<lb/>
genug. Ein kleiner Friedhof i&#x017F;t auch dabei, wo ich mich gleich<lb/>
würde begraben la&#x017F;&#x017F;en, wenn ich be&#x017F;tändig hier oben leben<lb/>
&#x017F;ollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Klo&#x017F;ter<lb/>
neben der Kirche wohnt. Ein &#x017F;elt&#x017F;amer Kauz! Man muß<lb/>
lachen, wenn man ihn mit &#x017F;einen langen Beinen und der<lb/>
&#x017F;chlenkernden Kutte, be&#x017F;tändig ein Buch unter dem Arm, ein¬<lb/>
her&#x017F;teigen &#x017F;ieht. Dabei &#x017F;chaut er immer in's Blaue, und thut, als<lb/>
bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt.&#x201C;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0020] gehenden. Es gibt ganz nette Geſichter unter den hieſigen Mädchen. Auch fehlt es nicht an Beſuch von Cameraden, und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬ girt. Hier oben aber iſt man von aller Welt abgeſchnitten, wie auf einer wüſten Inſel. Du haſt es übrigens,“ ſetzte er nach kurzem Beſinnen hinzu, „doch etwas beſſer getroffen, als ich. Denn morgen iſt Sonntag, und da kommen wenigſtens Leute in die Meſſe herauf.“ „In die Meſſe? Iſt denn hier eine Kirche?“ fragte ich überraſcht. „Allerdings. Etwa tauſend Schritte von hier, gegen die Moldau zu,“ ſagte er, während ich unwillkürlich nach dem Innern des Forts blickte. Aber die Ausſicht war durch eine nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die Wetterſtangen und ſpitzen Bedachungen der Pulvermagazine hervorragten. „Um ſie zu ſehen,“ fuhr der Baron fort, „müßteſt Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu haſt Du ſpäter Muße genug. Ein kleiner Friedhof iſt auch dabei, wo ich mich gleich würde begraben laſſen, wenn ich beſtändig hier oben leben ſollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloſter neben der Kirche wohnt. Ein ſeltſamer Kauz! Man muß lachen, wenn man ihn mit ſeinen langen Beinen und der ſchlenkernden Kutte, beſtändig ein Buch unter dem Arm, ein¬ herſteigen ſieht. Dabei ſchaut er immer in's Blaue, und thut, als bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/20
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/20>, abgerufen am 22.11.2024.