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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Als ich endlich wieder nach Hause zurückgekehrt war, fand
ich die kleine Gesellschaft bereits im Garten versammelt. Erni
sprang mir sogleich entgegen und ich näherte mich grüßend
der Mutter Heidrichs, welche unter den blühenden Alazien an
der Feuermauer des Nachbarhauses saß, während die beiden
jungen Frauen in einiger Entfernung den Tisch deckten. Frau
Louise lächelte mir freundlich zu; Marianne aber fuhr, ohne
aufzublicken, in ihrer Beschäftigung fort. Nun trat das Lie¬
bespaar Hand in Hand aus der Laube und auch Heidrich
kam mit seinem Schwager heran, den er Dorner nannte. Es
war ein großer, hagerer Mann in den ersten Dreißigen mit regel¬
mäßigen, aber harten Gesichtszügen, bei deren Anblick ich eine
wohlthuende Erleichterung empfand. Ich wechselte mit ihm
einige Worte und dann irrte mein Blick unwillkürlich nach
seiner Frau, die sich jetzt, halb von uns abgewandt, mit einem
großen Blumenstrauße zu schaffen machte, der für die Tafel
bestimmt schien. Sie trug diesmal ein weißes, bis an den Hals
hinauf geschlossenes Kleid, das die jungfräuliche Zartheit ihrer
Formen reizvoll hervortreten ließ. Ein breites, hellgrünes
Seidenband umgürtete, nach rückwärts geknüpft, ihren schlanken
Leib; ein schmäleres von gleicher Farbe hielt die Fülle des
Haares zusammen, das ihr, tief in die kleine Stirne hinein
gescheitelt, amnuthig Haupt und Nacken umquoll. Als wir
zu Tisch gingen, sollte ich neben ihr meinen Platz erhalten;
aber Erni verlangte durchaus bei Tante Marianne zu sitzen,

Als ich endlich wieder nach Hauſe zurückgekehrt war, fand
ich die kleine Geſellſchaft bereits im Garten verſammelt. Erni
ſprang mir ſogleich entgegen und ich näherte mich grüßend
der Mutter Heidrichs, welche unter den blühenden Alazien an
der Feuermauer des Nachbarhauſes ſaß, während die beiden
jungen Frauen in einiger Entfernung den Tiſch deckten. Frau
Louiſe lächelte mir freundlich zu; Marianne aber fuhr, ohne
aufzublicken, in ihrer Beſchäftigung fort. Nun trat das Lie¬
bespaar Hand in Hand aus der Laube und auch Heidrich
kam mit ſeinem Schwager heran, den er Dorner nannte. Es
war ein großer, hagerer Mann in den erſten Dreißigen mit regel¬
mäßigen, aber harten Geſichtszügen, bei deren Anblick ich eine
wohlthuende Erleichterung empfand. Ich wechſelte mit ihm
einige Worte und dann irrte mein Blick unwillkürlich nach
ſeiner Frau, die ſich jetzt, halb von uns abgewandt, mit einem
großen Blumenſtrauße zu ſchaffen machte, der für die Tafel
beſtimmt ſchien. Sie trug diesmal ein weißes, bis an den Hals
hinauf geſchloſſenes Kleid, das die jungfräuliche Zartheit ihrer
Formen reizvoll hervortreten ließ. Ein breites, hellgrünes
Seidenband umgürtete, nach rückwärts geknüpft, ihren ſchlanken
Leib; ein ſchmäleres von gleicher Farbe hielt die Fülle des
Haares zuſammen, das ihr, tief in die kleine Stirne hinein
geſcheitelt, amnuthig Haupt und Nacken umquoll. Als wir
zu Tiſch gingen, ſollte ich neben ihr meinen Platz erhalten;
aber Erni verlangte durchaus bei Tante Marianne zu ſitzen,

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[92/0108] Als ich endlich wieder nach Hauſe zurückgekehrt war, fand ich die kleine Geſellſchaft bereits im Garten verſammelt. Erni ſprang mir ſogleich entgegen und ich näherte mich grüßend der Mutter Heidrichs, welche unter den blühenden Alazien an der Feuermauer des Nachbarhauſes ſaß, während die beiden jungen Frauen in einiger Entfernung den Tiſch deckten. Frau Louiſe lächelte mir freundlich zu; Marianne aber fuhr, ohne aufzublicken, in ihrer Beſchäftigung fort. Nun trat das Lie¬ bespaar Hand in Hand aus der Laube und auch Heidrich kam mit ſeinem Schwager heran, den er Dorner nannte. Es war ein großer, hagerer Mann in den erſten Dreißigen mit regel¬ mäßigen, aber harten Geſichtszügen, bei deren Anblick ich eine wohlthuende Erleichterung empfand. Ich wechſelte mit ihm einige Worte und dann irrte mein Blick unwillkürlich nach ſeiner Frau, die ſich jetzt, halb von uns abgewandt, mit einem großen Blumenſtrauße zu ſchaffen machte, der für die Tafel beſtimmt ſchien. Sie trug diesmal ein weißes, bis an den Hals hinauf geſchloſſenes Kleid, das die jungfräuliche Zartheit ihrer Formen reizvoll hervortreten ließ. Ein breites, hellgrünes Seidenband umgürtete, nach rückwärts geknüpft, ihren ſchlanken Leib; ein ſchmäleres von gleicher Farbe hielt die Fülle des Haares zuſammen, das ihr, tief in die kleine Stirne hinein geſcheitelt, amnuthig Haupt und Nacken umquoll. Als wir zu Tiſch gingen, ſollte ich neben ihr meinen Platz erhalten; aber Erni verlangte durchaus bei Tante Marianne zu ſitzen,

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/108>, abgerufen am 27.11.2024.