Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.Charakter hinzugenommen, darlegen zu können, daß Raphaels Se- *) S. Lett. sulla pitt. etc. ed. Mil. To. I. lett. 1. prima octobris
1504, den Brief, worin die Herzogin von Urbino den Raphael dem Gon- faloniere von Florenz, Soderini, empfiehlt. Der Brief der Herzogin hat in allen Formen das Ansehn der Aechtheit; auch ist kein Grund denkbar, weßhalb ein solcher Brief erdichtet worden sey. Unter diesen Umständen wird man dessen Aechtheit nicht wohl um eines einzigen Satzes willen verwerfen können, dessen gezwungene und fehlerhafte Con- struction, auch abgesehen von der Unvereinbarkeit mit den Entdeckungen des Pungileoni, den Verdacht erweckt, daß der Abschreiber ihn nicht rich- tig gelesen und nach seiner Ansicht darin geändert habe. Dieser Satz lautet nach dem Abdrucke der obigen Ausgabe der Lettere sulla pit- tura. Et perche il padre so che e molto virtuoso et e mio af- fezionato et cosi il figliuolo discreto e gentile giovane, per ogni rispetto lo amo sommamente etc. -- In dieser Lesart überzeugt mich das: so che e, keinesweges; es ist eben so gezwungen, als unrichtig; das so, nach der Analogie damaligen Brief- und Conversationsstyles, ist sicher nichts anderes, als: suo; die Stelle aber, wo der Abschreiber che e gelesen, wenn Pungileoni's Angaben richtig sind, nothwendig irgend ein praeteritum; das zweite e offenbar eingeschoben. Einem wenig ge- übten Leser der Schriftarten jener Zeit konnte die Abbreviatur: sta0, d. i. stato, leicht als: che, erscheinen. Die Einschiebung dieses che macht aber den ganzen Satz verworren und falsch. Allem Ansehn nach hat also die Herzogin geschrieben: Et perche il padre suo stato e molto virtuoso et mio affezionato, et cosi il figliuolo (sendo) discreto e gentile giovane etc. Denn unter allen Umständen ist nach figliuolo das Zeitwort ausgefallen, sey es in der Abschrift, oder schon im Originale durch ein Versehen, welches nicht ohne Beyspiel ist. -- Die Abschrift, Charakter hinzugenommen, darlegen zu koͤnnen, daß Raphaels Se- *) S. Lett. sulla pitt. etc. ed. Mil. To. I. lett. 1. prima octobris
1504, den Brief, worin die Herzogin von Urbino den Raphael dem Gon- faloniere von Florenz, Soderini, empfiehlt. Der Brief der Herzogin hat in allen Formen das Anſehn der Aechtheit; auch iſt kein Grund denkbar, weßhalb ein ſolcher Brief erdichtet worden ſey. Unter dieſen Umſtänden wird man deſſen Aechtheit nicht wohl um eines einzigen Satzes willen verwerfen können, deſſen gezwungene und fehlerhafte Con- ſtruction, auch abgeſehen von der Unvereinbarkeit mit den Entdeckungen des Pungileoni, den Verdacht erweckt, daß der Abſchreiber ihn nicht rich- tig geleſen und nach ſeiner Anſicht darin geändert habe. Dieſer Satz lautet nach dem Abdrucke der obigen Ausgabe der Lettere sulla pit- tura. Et perchè il padre so che é molto virtuoso et é mio af- fezionato et così il figliuolo discreto e gentile giovane, per ogni rispetto lo amo sommamente etc. — In dieſer Lesart überzeugt mich das: so che é, keinesweges; es iſt eben ſo gezwungen, als unrichtig; das so, nach der Analogie damaligen Brief- und Converſationsſtyles, iſt ſicher nichts anderes, als: suo; die Stelle aber, wo der Abſchreiber che é geleſen, wenn Pungileoni’s Angaben richtig ſind, nothwendig irgend ein praeteritum; das zweite é offenbar eingeſchoben. Einem wenig ge- übten Leſer der Schriftarten jener Zeit konnte die Abbreviatur: sta0, d. i. stato, leicht als: che, erſcheinen. Die Einſchiebung dieſes che macht aber den ganzen Satz verworren und falſch. Allem Anſehn nach hat alſo die Herzogin geſchrieben: Et perché il padre suo stato é molto virtuoso et mio affezionato, et così il figliuolo (sendo) discreto e gentile giovane etc. Denn unter allen Umſtänden iſt nach figliuolo das Zeitwort ausgefallen, ſey es in der Abſchrift, oder ſchon im Originale durch ein Verſehen, welches nicht ohne Beyſpiel iſt. — Die Abſchrift, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070" n="48"/> Charakter hinzugenommen, darlegen zu koͤnnen, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName><lb/> erſte Ausflucht nach <placeName>Florenz</placeName> zu Ende des Jahres 1504, oder<lb/> zu Anfang des folgenden, kurz an der Grenze beider Jahre<lb/> ſich muͤſſe ereignet haben. 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Charakter hinzugenommen, darlegen zu koͤnnen, daß Raphaels
erſte Ausflucht nach Florenz zu Ende des Jahres 1504, oder
zu Anfang des folgenden, kurz an der Grenze beider Jahre
ſich muͤſſe ereignet haben. Das Spoſalizio, mit dem Jahre
1504, zeigt, nach meinen Wahrnehmungen, noch keine Spur
der Bekanntſchaft mit florentiniſchen Richtungen und Vorbil-
dern *). Hingegen iſt an dem Wandgemaͤlde im Kloſter S.
Se-
*) S. Lett. sulla pitt. etc. ed. Mil. To. I. lett. 1. prima octobris
1504, den Brief, worin die Herzogin von Urbino den Raphael dem Gon-
faloniere von Florenz, Soderini, empfiehlt. Der Brief der Herzogin
hat in allen Formen das Anſehn der Aechtheit; auch iſt kein Grund
denkbar, weßhalb ein ſolcher Brief erdichtet worden ſey. Unter dieſen
Umſtänden wird man deſſen Aechtheit nicht wohl um eines einzigen
Satzes willen verwerfen können, deſſen gezwungene und fehlerhafte Con-
ſtruction, auch abgeſehen von der Unvereinbarkeit mit den Entdeckungen
des Pungileoni, den Verdacht erweckt, daß der Abſchreiber ihn nicht rich-
tig geleſen und nach ſeiner Anſicht darin geändert habe. Dieſer Satz
lautet nach dem Abdrucke der obigen Ausgabe der Lettere sulla pit-
tura. Et perchè il padre so che é molto virtuoso et é mio af-
fezionato et così il figliuolo discreto e gentile giovane, per ogni
rispetto lo amo sommamente etc. — In dieſer Lesart überzeugt mich
das: so che é, keinesweges; es iſt eben ſo gezwungen, als unrichtig; das
so, nach der Analogie damaligen Brief- und Converſationsſtyles, iſt
ſicher nichts anderes, als: suo; die Stelle aber, wo der Abſchreiber che
é geleſen, wenn Pungileoni’s Angaben richtig ſind, nothwendig irgend
ein praeteritum; das zweite é offenbar eingeſchoben. Einem wenig ge-
übten Leſer der Schriftarten jener Zeit konnte die Abbreviatur: sta0,
d. i. stato, leicht als: che, erſcheinen. Die Einſchiebung dieſes che
macht aber den ganzen Satz verworren und falſch. Allem Anſehn nach
hat alſo die Herzogin geſchrieben: Et perché il padre suo stato é molto
virtuoso et mio affezionato, et così il figliuolo (sendo) discreto e
gentile giovane etc. Denn unter allen Umſtänden iſt nach figliuolo das
Zeitwort ausgefallen, ſey es in der Abſchrift, oder ſchon im Originale
durch ein Verſehen, welches nicht ohne Beyſpiel iſt. — Die Abſchrift,
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