flucht nehme, dem großen Künstler nicht mehr Manieren, son- dern verschiedene Style beymesse.
Aus den Forderungen des jedesmaligen Gegenstandes, dessen begeisterte Auffassung vorausgesetzt, ergeben sich in den Kunstwerken viele und mehrfältige Schönheiten. Einige in- deß, und keinesweges verächtliche, aus der Kunst an sich selbst, aus der Stellung, Anordnung und Vertheilung im Raume, aus gehöriger Handhabung des Stoffes, in welchem man bil- det oder Gestalten erscheinen macht. Dem Wortgebrauche neuerer Künstler mich anschließend, habe ich in einer der frü- heren Abhandlungen, schöne Anordnung, den allgemeinen, bil- lige Berücksichtigung, gewandte Beseitigung der Ansprüche des Stoffes, in welchem man gerade sich ausdrücken will, den be- sonderen (malerischen oder bildnerischen) Styl genannt. Daß solche, von den Forderungen des Gegenstandes ganz unab- hängige Kunstvortheile denkbar, beachtenswerth seyen, daß de- ren Anwendung die Gesammtschönheit der Kunstwerke bedinge, wird nicht wohl mit Zuversicht geläugnet, überzeugend wider- legt werden können. Hingegen mag man über die Wahl des wortes noch streitig seyn, eine andere Benennung an dessen Stelle setzen, welche vielleicht den Begriff ungleich zweckmäßi- ger bezeichnen wird, als Styl; ein Wort, welches ich eben nur, dem Gebrauche mich anzuschließen, gewählt habe.
In diesem Sinne genommen besaß nun freylich Raphael mehr Styl, als irgend ein anderer unter den größeren Künst- lern der neueren Zeit. Ein solcher Styl ist indeß nicht, wie die Style der Italiener, der Manier fast gleichbedeutend, wie diese, Gewöhnung, Unart, so oder anders mit Stoff und Ge- genstand umzugehn: sondern religiöse Unterwerfung unter all- gemeine, unveränderliche Schönheitsgesetze, sey es aus einem feinsinnigen Gefühle, oder aus deutlicher Erkenntniß.
flucht nehme, dem großen Kuͤnſtler nicht mehr Manieren, ſon- dern verſchiedene Style beymeſſe.
Aus den Forderungen des jedesmaligen Gegenſtandes, deſſen begeiſterte Auffaſſung vorausgeſetzt, ergeben ſich in den Kunſtwerken viele und mehrfaͤltige Schoͤnheiten. Einige in- deß, und keinesweges veraͤchtliche, aus der Kunſt an ſich ſelbſt, aus der Stellung, Anordnung und Vertheilung im Raume, aus gehoͤriger Handhabung des Stoffes, in welchem man bil- det oder Geſtalten erſcheinen macht. Dem Wortgebrauche neuerer Kuͤnſtler mich anſchließend, habe ich in einer der fruͤ- heren Abhandlungen, ſchoͤne Anordnung, den allgemeinen, bil- lige Beruͤckſichtigung, gewandte Beſeitigung der Anſpruͤche des Stoffes, in welchem man gerade ſich ausdruͤcken will, den be- ſonderen (maleriſchen oder bildneriſchen) Styl genannt. Daß ſolche, von den Forderungen des Gegenſtandes ganz unab- haͤngige Kunſtvortheile denkbar, beachtenswerth ſeyen, daß de- ren Anwendung die Geſammtſchoͤnheit der Kunſtwerke bedinge, wird nicht wohl mit Zuverſicht gelaͤugnet, uͤberzeugend wider- legt werden koͤnnen. Hingegen mag man uͤber die Wahl des wortes noch ſtreitig ſeyn, eine andere Benennung an deſſen Stelle ſetzen, welche vielleicht den Begriff ungleich zweckmaͤßi- ger bezeichnen wird, als Styl; ein Wort, welches ich eben nur, dem Gebrauche mich anzuſchließen, gewaͤhlt habe.
In dieſem Sinne genommen beſaß nun freylich Raphael mehr Styl, als irgend ein anderer unter den groͤßeren Kuͤnſt- lern der neueren Zeit. Ein ſolcher Styl iſt indeß nicht, wie die Style der Italiener, der Manier faſt gleichbedeutend, wie dieſe, Gewoͤhnung, Unart, ſo oder anders mit Stoff und Ge- genſtand umzugehn: ſondern religioͤſe Unterwerfung unter all- gemeine, unveraͤnderliche Schoͤnheitsgeſetze, ſey es aus einem feinſinnigen Gefuͤhle, oder aus deutlicher Erkenntniß.
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flucht nehme, dem großen Kuͤnſtler nicht mehr Manieren, ſon-
dern verſchiedene Style beymeſſe.
Aus den Forderungen des jedesmaligen Gegenſtandes,
deſſen begeiſterte Auffaſſung vorausgeſetzt, ergeben ſich in den
Kunſtwerken viele und mehrfaͤltige Schoͤnheiten. Einige in-
deß, und keinesweges veraͤchtliche, aus der Kunſt an ſich ſelbſt,
aus der Stellung, Anordnung und Vertheilung im Raume,
aus gehoͤriger Handhabung des Stoffes, in welchem man bil-
det oder Geſtalten erſcheinen macht. Dem Wortgebrauche
neuerer Kuͤnſtler mich anſchließend, habe ich in einer der fruͤ-
heren Abhandlungen, ſchoͤne Anordnung, den allgemeinen, bil-
lige Beruͤckſichtigung, gewandte Beſeitigung der Anſpruͤche des
Stoffes, in welchem man gerade ſich ausdruͤcken will, den be-
ſonderen (maleriſchen oder bildneriſchen) Styl genannt. Daß
ſolche, von den Forderungen des Gegenſtandes ganz unab-
haͤngige Kunſtvortheile denkbar, beachtenswerth ſeyen, daß de-
ren Anwendung die Geſammtſchoͤnheit der Kunſtwerke bedinge,
wird nicht wohl mit Zuverſicht gelaͤugnet, uͤberzeugend wider-
legt werden koͤnnen. Hingegen mag man uͤber die Wahl des
wortes noch ſtreitig ſeyn, eine andere Benennung an deſſen
Stelle ſetzen, welche vielleicht den Begriff ungleich zweckmaͤßi-
ger bezeichnen wird, als Styl; ein Wort, welches ich eben
nur, dem Gebrauche mich anzuſchließen, gewaͤhlt habe.
In dieſem Sinne genommen beſaß nun freylich Raphael
mehr Styl, als irgend ein anderer unter den groͤßeren Kuͤnſt-
lern der neueren Zeit. Ein ſolcher Styl iſt indeß nicht, wie
die Style der Italiener, der Manier faſt gleichbedeutend, wie
dieſe, Gewoͤhnung, Unart, ſo oder anders mit Stoff und Ge-
genſtand umzugehn: ſondern religioͤſe Unterwerfung unter all-
gemeine, unveraͤnderliche Schoͤnheitsgeſetze, ſey es aus einem
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/40>, abgerufen am 17.02.2025.
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