Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.berechtigt, daß man dort den byzantinischen Geschmack in Al- Die Aufnahme einzelner und sehr untergeordneter Eigen- Solche Bemühungen begleiten häufig die wunderbarsten berechtigt, daß man dort den byzantiniſchen Geſchmack in Al- Die Aufnahme einzelner und ſehr untergeordneter Eigen- Solche Bemuͤhungen begleiten haͤufig die wunderbarſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0232" n="210"/> berechtigt, daß man dort den byzantiniſchen Geſchmack in Al-<lb/> lem befolgt habe, zeigt ſich doch nichts der Marcuskirche<lb/> wenn auch nur entfernt Vergleichbares. Im Gegentheil leh-<lb/> ren das Baptiſterium und die Baſiliken zu <placeName>Torcello</placeName> und <placeName>Grado</placeName>,<lb/> daß man auch in den <placeName>venetiſchen Inſeln</placeName> dem chriſtlich-roͤmi-<lb/> ſchen Herkommen im Ganzen treu geblieben war, daß alſo<lb/> jenes byzantiniſche Dach der Marcuskirche ſogar an dieſer<lb/> Stelle nur eine Ausnahme bildet.</p><lb/> <p>Die Aufnahme einzelner und ſehr untergeordneter Eigen-<lb/> thuͤmlichkeiten der ſpaͤteren byzantiniſchen Bauart duͤrfte uns<lb/> aber, auch wenn ſie verbreiteter geweſen waͤre, als es ſich<lb/> zeigt, doch nicht gaͤnzlich berechtigen, die Bauart, in welcher<lb/> ein ſolcher Anflug ſich zeigt, die byzantiniſche zu nennen. Als<lb/> eine willkuͤhrliche, folgenloſe Benennung moͤchte ſie zu dulden<lb/> ſeyn. Doch geben ſolche grundloſe Kunſtworte haͤufig die<lb/> Veranlaſſung zu falſchen Schluͤſſen und Meinungen, welche,<lb/> wenn ſie einmal den Charakter des Vorurtheils angenommen<lb/> haben, der Wahrheit im Lichte ſtehen und ſelbſt uͤber das<lb/> Handgreiflichſte verblenden. Hat man doch vor noch nicht<lb/> langer Zeit den Urſprung der ſogenannten gothiſchen Archi-<lb/> tectur bey den Gothen geſucht. <note place="foot" n="*)"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/121111164">Maffei</persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118717286">Gibbon</persName>; noch ſpäter iſt die Preisaufgabe der wiſſ.<lb/> Geſellſchaft zu <placeName>Görlitz</placeName>.</note> So kann es denn nicht<lb/> befremden, wenn Andere den Urſprung der Bauart, welche<lb/> man in unſeren Tagen willkuͤhrlich die byzantiniſche nennt, im<lb/> oͤſtlichen Reiche und beſonders in <placeName>Conſtantinopel</placeName> aufſuchen.</p><lb/> <p>Solche Bemuͤhungen begleiten haͤufig die wunderbarſten<lb/> Selbſttaͤuſchungen. Man findet, behauptet, oder wiederholt<lb/> uͤberall: S. Vitale zu <placeName>Ravenna</placeName>, S. Marco zu <placeName>Venedig</placeName> ſeyen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0232]
berechtigt, daß man dort den byzantiniſchen Geſchmack in Al-
lem befolgt habe, zeigt ſich doch nichts der Marcuskirche
wenn auch nur entfernt Vergleichbares. Im Gegentheil leh-
ren das Baptiſterium und die Baſiliken zu Torcello und Grado,
daß man auch in den venetiſchen Inſeln dem chriſtlich-roͤmi-
ſchen Herkommen im Ganzen treu geblieben war, daß alſo
jenes byzantiniſche Dach der Marcuskirche ſogar an dieſer
Stelle nur eine Ausnahme bildet.
Die Aufnahme einzelner und ſehr untergeordneter Eigen-
thuͤmlichkeiten der ſpaͤteren byzantiniſchen Bauart duͤrfte uns
aber, auch wenn ſie verbreiteter geweſen waͤre, als es ſich
zeigt, doch nicht gaͤnzlich berechtigen, die Bauart, in welcher
ein ſolcher Anflug ſich zeigt, die byzantiniſche zu nennen. Als
eine willkuͤhrliche, folgenloſe Benennung moͤchte ſie zu dulden
ſeyn. Doch geben ſolche grundloſe Kunſtworte haͤufig die
Veranlaſſung zu falſchen Schluͤſſen und Meinungen, welche,
wenn ſie einmal den Charakter des Vorurtheils angenommen
haben, der Wahrheit im Lichte ſtehen und ſelbſt uͤber das
Handgreiflichſte verblenden. Hat man doch vor noch nicht
langer Zeit den Urſprung der ſogenannten gothiſchen Archi-
tectur bey den Gothen geſucht. *) So kann es denn nicht
befremden, wenn Andere den Urſprung der Bauart, welche
man in unſeren Tagen willkuͤhrlich die byzantiniſche nennt, im
oͤſtlichen Reiche und beſonders in Conſtantinopel aufſuchen.
Solche Bemuͤhungen begleiten haͤufig die wunderbarſten
Selbſttaͤuſchungen. Man findet, behauptet, oder wiederholt
uͤberall: S. Vitale zu Ravenna, S. Marco zu Venedig ſeyen
*) Maffei und Gibbon; noch ſpäter iſt die Preisaufgabe der wiſſ.
Geſellſchaft zu Görlitz.
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