Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

durchmaß zuerst den ganzen Umfang der neueren Malerey.
In der Auffassung christlicher Motive und Aufgaben hielt er
sich, nach dem Beyspiele der umbrischen Schule an jene glück-
liche Mischung altchristlicher Strenge und moderner Weichheit
der Empfindung, deren Entstehung und Fortpflanzung uns in
der vorangehenden Abhandlung beschäftigt hat. Die mönchi-
sche, theils burlesk pathetische, theils schwärmerisch religiöse
Richtung blieb ihm fremd; vielleicht überhob ihn seine frühe
Versetzung an den päpstlichen Hof der Auflösung von Aufga-
ben dieser Art. Hingegen zeigte Raphael, wie der poetische
Stoff der antiken Kunst mit den Bestrebungen und Möglich-
keiten der neueren vortheilhaft auszugleichen sey.

Dieser Stoff, welcher bald Mythus, Fabel und Poesie *),
bald Symbolik und wie immer sonst benannt wird, umschließt
verschiedene einander entgegengesetzte Elemente. Aus einer mehr
und minder gebundenen Begriffsbezeichnung hatte er sich her-
vorgebildet; später einem phantasiereichen Formenspiele sich
hingegeben; endlich gestrebt, von neuem gleichsam sein Be-
wußtseyn zu sammeln, seine ursprüngliche Bedeutung durch
Forschung und Nachdenken wieder aufzufinden. Doch eben
diese unendliche Verwickelung des anschaulich und des abstract
Aufgefaßten, des Gebundenen und Willkührlichen, welche den
Historiker verwirrt und ihn, gleich Irrlichtern, bald auf unzugäng-
liche Höhen, bald in niedrige Sümpfe verlockt, stempelt den sym-
bolischen Kunststoff des classischen Alterthumes zum allegorischen
Elemente der Malerey aller Zeiten. Was schon im Alterthume
bald zu luftigem Reize sich verflüchtigen, bald eine tiefe, bald

*) Bey den Italienern des sechzehnten Jahrhundertes, dem
Pietro Aretino und A.

durchmaß zuerſt den ganzen Umfang der neueren Malerey.
In der Auffaſſung chriſtlicher Motive und Aufgaben hielt er
ſich, nach dem Beyſpiele der umbriſchen Schule an jene gluͤck-
liche Miſchung altchriſtlicher Strenge und moderner Weichheit
der Empfindung, deren Entſtehung und Fortpflanzung uns in
der vorangehenden Abhandlung beſchaͤftigt hat. Die moͤnchi-
ſche, theils burlesk pathetiſche, theils ſchwaͤrmeriſch religioͤſe
Richtung blieb ihm fremd; vielleicht uͤberhob ihn ſeine fruͤhe
Verſetzung an den paͤpſtlichen Hof der Aufloͤſung von Aufga-
ben dieſer Art. Hingegen zeigte Raphael, wie der poetiſche
Stoff der antiken Kunſt mit den Beſtrebungen und Moͤglich-
keiten der neueren vortheilhaft auszugleichen ſey.

Dieſer Stoff, welcher bald Mythus, Fabel und Poeſie *),
bald Symbolik und wie immer ſonſt benannt wird, umſchließt
verſchiedene einander entgegengeſetzte Elemente. Aus einer mehr
und minder gebundenen Begriffsbezeichnung hatte er ſich her-
vorgebildet; ſpaͤter einem phantaſiereichen Formenſpiele ſich
hingegeben; endlich geſtrebt, von neuem gleichſam ſein Be-
wußtſeyn zu ſammeln, ſeine urſpruͤngliche Bedeutung durch
Forſchung und Nachdenken wieder aufzufinden. Doch eben
dieſe unendliche Verwickelung des anſchaulich und des abſtract
Aufgefaßten, des Gebundenen und Willkuͤhrlichen, welche den
Hiſtoriker verwirrt und ihn, gleich Irrlichtern, bald auf unzugaͤng-
liche Hoͤhen, bald in niedrige Suͤmpfe verlockt, ſtempelt den ſym-
boliſchen Kunſtſtoff des claſſiſchen Alterthumes zum allegoriſchen
Elemente der Malerey aller Zeiten. Was ſchon im Alterthume
bald zu luftigem Reize ſich verfluͤchtigen, bald eine tiefe, bald

*) Bey den Italienern des ſechzehnten Jahrhundertes, dem
Pietro Aretino und A.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="389"/>
durchmaß zuer&#x017F;t den ganzen Umfang der neueren Malerey.<lb/>
In der Auffa&#x017F;&#x017F;ung chri&#x017F;tlicher Motive und Aufgaben hielt er<lb/>
&#x017F;ich, nach dem Bey&#x017F;piele der umbri&#x017F;chen Schule an jene glu&#x0364;ck-<lb/>
liche Mi&#x017F;chung altchri&#x017F;tlicher Strenge und moderner Weichheit<lb/>
der Empfindung, deren Ent&#x017F;tehung und Fortpflanzung uns in<lb/>
der vorangehenden Abhandlung be&#x017F;cha&#x0364;ftigt hat. Die mo&#x0364;nchi-<lb/>
&#x017F;che, theils burlesk patheti&#x017F;che, theils &#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;ch religio&#x0364;&#x017F;e<lb/>
Richtung blieb ihm fremd; vielleicht u&#x0364;berhob ihn &#x017F;eine fru&#x0364;he<lb/>
Ver&#x017F;etzung an den pa&#x0364;p&#x017F;tlichen Hof der Auflo&#x0364;&#x017F;ung von Aufga-<lb/>
ben die&#x017F;er Art. Hingegen zeigte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName>, wie der poeti&#x017F;che<lb/>
Stoff der antiken Kun&#x017F;t mit den Be&#x017F;trebungen und Mo&#x0364;glich-<lb/>
keiten der neueren vortheilhaft auszugleichen &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Stoff, welcher bald Mythus, Fabel und Poe&#x017F;ie <note place="foot" n="*)">Bey den Italienern des &#x017F;echzehnten Jahrhundertes, dem<lb/><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650033">Pietro Aretino</persName></hi> und A.</note>,<lb/>
bald Symbolik und wie immer &#x017F;on&#x017F;t benannt wird, um&#x017F;chließt<lb/>
ver&#x017F;chiedene einander entgegenge&#x017F;etzte Elemente. Aus einer mehr<lb/>
und minder gebundenen Begriffsbezeichnung hatte er &#x017F;ich her-<lb/>
vorgebildet; &#x017F;pa&#x0364;ter einem phanta&#x017F;iereichen Formen&#x017F;piele &#x017F;ich<lb/>
hingegeben; endlich ge&#x017F;trebt, von neuem gleich&#x017F;am &#x017F;ein Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyn zu &#x017F;ammeln, &#x017F;eine ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Bedeutung durch<lb/>
For&#x017F;chung und Nachdenken wieder aufzufinden. Doch eben<lb/>
die&#x017F;e unendliche Verwickelung des an&#x017F;chaulich und des ab&#x017F;tract<lb/>
Aufgefaßten, des Gebundenen und Willku&#x0364;hrlichen, welche den<lb/>
Hi&#x017F;toriker verwirrt und ihn, gleich Irrlichtern, bald auf unzuga&#x0364;ng-<lb/>
liche Ho&#x0364;hen, bald in niedrige Su&#x0364;mpfe verlockt, &#x017F;tempelt den &#x017F;ym-<lb/>
boli&#x017F;chen Kun&#x017F;t&#x017F;toff des cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Alterthumes zum allegori&#x017F;chen<lb/>
Elemente der Malerey aller Zeiten. Was &#x017F;chon im Alterthume<lb/>
bald zu luftigem Reize &#x017F;ich verflu&#x0364;chtigen, bald eine tiefe, bald<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0407] durchmaß zuerſt den ganzen Umfang der neueren Malerey. In der Auffaſſung chriſtlicher Motive und Aufgaben hielt er ſich, nach dem Beyſpiele der umbriſchen Schule an jene gluͤck- liche Miſchung altchriſtlicher Strenge und moderner Weichheit der Empfindung, deren Entſtehung und Fortpflanzung uns in der vorangehenden Abhandlung beſchaͤftigt hat. Die moͤnchi- ſche, theils burlesk pathetiſche, theils ſchwaͤrmeriſch religioͤſe Richtung blieb ihm fremd; vielleicht uͤberhob ihn ſeine fruͤhe Verſetzung an den paͤpſtlichen Hof der Aufloͤſung von Aufga- ben dieſer Art. Hingegen zeigte Raphael, wie der poetiſche Stoff der antiken Kunſt mit den Beſtrebungen und Moͤglich- keiten der neueren vortheilhaft auszugleichen ſey. Dieſer Stoff, welcher bald Mythus, Fabel und Poeſie *), bald Symbolik und wie immer ſonſt benannt wird, umſchließt verſchiedene einander entgegengeſetzte Elemente. Aus einer mehr und minder gebundenen Begriffsbezeichnung hatte er ſich her- vorgebildet; ſpaͤter einem phantaſiereichen Formenſpiele ſich hingegeben; endlich geſtrebt, von neuem gleichſam ſein Be- wußtſeyn zu ſammeln, ſeine urſpruͤngliche Bedeutung durch Forſchung und Nachdenken wieder aufzufinden. Doch eben dieſe unendliche Verwickelung des anſchaulich und des abſtract Aufgefaßten, des Gebundenen und Willkuͤhrlichen, welche den Hiſtoriker verwirrt und ihn, gleich Irrlichtern, bald auf unzugaͤng- liche Hoͤhen, bald in niedrige Suͤmpfe verlockt, ſtempelt den ſym- boliſchen Kunſtſtoff des claſſiſchen Alterthumes zum allegoriſchen Elemente der Malerey aller Zeiten. Was ſchon im Alterthume bald zu luftigem Reize ſich verfluͤchtigen, bald eine tiefe, bald *) Bey den Italienern des ſechzehnten Jahrhundertes, dem Pietro Aretino und A.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/407
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/407>, abgerufen am 23.11.2024.