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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Abweichungen hingewiesen, welche diesen Maler vom Perugino
unterscheiden werden. Diese (kräftige Schatten, bräunlicher
Hauptton, größere Fülle und Derbheit der Form, als bey
den umbrischen Malern gewöhnlich ist) glaubte ich in der
Madonna unter dem Bogen eines Seitenthores zu Asisi ober-
halb s. Franz (porta S. Giacomo) wieder aufzufinden, wie
selbst an zween anderen, das eine in via superba unweit s.
Franz, an einem Privathause; das andere in einer engen
Gasse der oberen Stadt. Indeß ist es bedenklich, hierin
möglichen späteren Entdeckungen vorzugreifen, weßhalb ich
jene Vermuthungen jederzeit nur mit Zurückhaltung ausge-
sprochen habe.

Andere Schriftsteller haben mit jener unbegreiflichen Keck-
heit, welche den Bearbeitungen neuerer Kunstgeschichten anzu-
hängen pflegt, von diesem bis jetzt unbekannten, vielleicht
selbst unbedeutenden Meister, gleich wie von einem alten Be-
kannten geredet, und Werke ohne alle urkundliche Gründe als
die seinigen bezeichnet, welche nach ihrem Zeitcharakter weder
dem Andrea, noch überhaupt einem Maler angehören können,
welcher schon 1484. ein ansässiger Meister war.

Wenn es dem Vasari zu verzeihen ist, daß er mit jener
ihm eigenthümlichen Nichtbeachtung der Zeitfolge erzählt: daß
Andrea Luigi von Asisi der beste Schüler des Perugino gewe-
sen, welcher in seiner ersten Jugend mit Raphael ge-
wetteifert und seinem Meister (etwa fünfundzwanzig
Jahre früher
) bey dessen Arbeiten in der sixtinischen Kap-
pelle geholfen habe, und (wiederum 25. Jahr später) bey de-
nen im Cambio zu Perugia, und doch wiederum so viel frü-
her erblindet sey; so hätten doch so grobe Unvereinbarkeiten
späteren Forschern die Augen öffnen und ihnen zeigen sollen,

Abweichungen hingewieſen, welche dieſen Maler vom Perugino
unterſcheiden werden. Dieſe (kraͤftige Schatten, braͤunlicher
Hauptton, groͤßere Fuͤlle und Derbheit der Form, als bey
den umbriſchen Malern gewoͤhnlich iſt) glaubte ich in der
Madonna unter dem Bogen eines Seitenthores zu Aſiſi ober-
halb ſ. Franz (porta S. Giacomo) wieder aufzufinden, wie
ſelbſt an zween anderen, das eine in via superba unweit ſ.
Franz, an einem Privathauſe; das andere in einer engen
Gaſſe der oberen Stadt. Indeß iſt es bedenklich, hierin
moͤglichen ſpaͤteren Entdeckungen vorzugreifen, weßhalb ich
jene Vermuthungen jederzeit nur mit Zuruͤckhaltung ausge-
ſprochen habe.

Andere Schriftſteller haben mit jener unbegreiflichen Keck-
heit, welche den Bearbeitungen neuerer Kunſtgeſchichten anzu-
haͤngen pflegt, von dieſem bis jetzt unbekannten, vielleicht
ſelbſt unbedeutenden Meiſter, gleich wie von einem alten Be-
kannten geredet, und Werke ohne alle urkundliche Gruͤnde als
die ſeinigen bezeichnet, welche nach ihrem Zeitcharakter weder
dem Andrea, noch uͤberhaupt einem Maler angehoͤren koͤnnen,
welcher ſchon 1484. ein anſaͤſſiger Meiſter war.

Wenn es dem Vaſari zu verzeihen iſt, daß er mit jener
ihm eigenthuͤmlichen Nichtbeachtung der Zeitfolge erzaͤhlt: daß
Andrea Luigi von Aſiſi der beſte Schuͤler des Perugino gewe-
ſen, welcher in ſeiner erſten Jugend mit Raphael ge-
wetteifert und ſeinem Meiſter (etwa fuͤnfundzwanzig
Jahre fruͤher
) bey deſſen Arbeiten in der ſixtiniſchen Kap-
pelle geholfen habe, und (wiederum 25. Jahr ſpaͤter) bey de-
nen im Cambio zu Perugia, und doch wiederum ſo viel fruͤ-
her erblindet ſey; ſo haͤtten doch ſo grobe Unvereinbarkeiten
ſpaͤteren Forſchern die Augen oͤffnen und ihnen zeigen ſollen,

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[329/0347] Abweichungen hingewieſen, welche dieſen Maler vom Perugino unterſcheiden werden. Dieſe (kraͤftige Schatten, braͤunlicher Hauptton, groͤßere Fuͤlle und Derbheit der Form, als bey den umbriſchen Malern gewoͤhnlich iſt) glaubte ich in der Madonna unter dem Bogen eines Seitenthores zu Aſiſi ober- halb ſ. Franz (porta S. Giacomo) wieder aufzufinden, wie ſelbſt an zween anderen, das eine in via superba unweit ſ. Franz, an einem Privathauſe; das andere in einer engen Gaſſe der oberen Stadt. Indeß iſt es bedenklich, hierin moͤglichen ſpaͤteren Entdeckungen vorzugreifen, weßhalb ich jene Vermuthungen jederzeit nur mit Zuruͤckhaltung ausge- ſprochen habe. Andere Schriftſteller haben mit jener unbegreiflichen Keck- heit, welche den Bearbeitungen neuerer Kunſtgeſchichten anzu- haͤngen pflegt, von dieſem bis jetzt unbekannten, vielleicht ſelbſt unbedeutenden Meiſter, gleich wie von einem alten Be- kannten geredet, und Werke ohne alle urkundliche Gruͤnde als die ſeinigen bezeichnet, welche nach ihrem Zeitcharakter weder dem Andrea, noch uͤberhaupt einem Maler angehoͤren koͤnnen, welcher ſchon 1484. ein anſaͤſſiger Meiſter war. Wenn es dem Vaſari zu verzeihen iſt, daß er mit jener ihm eigenthuͤmlichen Nichtbeachtung der Zeitfolge erzaͤhlt: daß Andrea Luigi von Aſiſi der beſte Schuͤler des Perugino gewe- ſen, welcher in ſeiner erſten Jugend mit Raphael ge- wetteifert und ſeinem Meiſter (etwa fuͤnfundzwanzig Jahre fruͤher) bey deſſen Arbeiten in der ſixtiniſchen Kap- pelle geholfen habe, und (wiederum 25. Jahr ſpaͤter) bey de- nen im Cambio zu Perugia, und doch wiederum ſo viel fruͤ- her erblindet ſey; ſo haͤtten doch ſo grobe Unvereinbarkeiten ſpaͤteren Forſchern die Augen oͤffnen und ihnen zeigen ſollen,

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/347>, abgerufen am 22.11.2024.