Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Gewiß ist die Wahrnehmung, daß die Florentiner der
bezeichneten Epoche die mystisch, oder ethisch religiösen Vor-
stellungen damaliger Kunstaufgaben meist ohne lebhaften An-
theil, oder nur obenhin behandelt haben, an sich selbst ganz
richtig; indeß verwechselt, wer dieses allgemeine Nachlassen
der Begeisterung für Gegenstände der bezeichneten Art aus je-
nem gleichzeitig überhandnehmenden Naturalismus ableitet,
das Symptom mit der Veranlassung. Ganz andere und all-
gemeinere Veranlassungen liegen zur Hand; die Bewunderung
classischer Gediegenheit hatte die Italiener jener Zeit gegen die
minder scheinbaren, vielleicht unscheinbar gewordenen Vorzüge
der christlichen Lebensansicht verblendet, in Vielen Gleichgül-
tigkeit, in Einigen sogar Haß gegen die sittlich-religiöse Rich-
tung des Christenthumes hervorgerufen, wie Jedem bekannt
ist, welcher in der Geschichte und Literatur jener Zeit ein we-
nig sich umgesehn. Wie in den neuesten Zeiten, so war auch
schon damals ein Theil der Gesinnungen und Ansichten der
wissenschaftlich Gebildeten auf Solche übergegangen, welche,
gleich den Künstlern, sich mit jenen berührten. Daher denn
erklärt sich die Abkühlung der Begeisterung für christliche
Kunstaufgaben, welche in der That einer größeren Verbrei-
tung des Naturalismus nur etwa Raum gegeben hat, keines-
weges diesem letzten gewichen ist. War es doch eben Ange-
lico da Fiesole
, welcher in physiognomischer Beziehung allen
florentinischen Naturalisten vorgeleuchtet hat; fehlte doch die
christlich und mönchische Begeisterung auch denen, und besonders
eben denen, welche aus Trägheit, oder Unfähigkeit in der Nach-
ahmung des Einzelnen hinter ihren Zeitgenossen zurückgeblie-
ben sind!

Uebergehen wir hier eine Reihe früher, vielleicht noch un-

Gewiß iſt die Wahrnehmung, daß die Florentiner der
bezeichneten Epoche die myſtiſch, oder ethiſch religioͤſen Vor-
ſtellungen damaliger Kunſtaufgaben meiſt ohne lebhaften An-
theil, oder nur obenhin behandelt haben, an ſich ſelbſt ganz
richtig; indeß verwechſelt, wer dieſes allgemeine Nachlaſſen
der Begeiſterung fuͤr Gegenſtaͤnde der bezeichneten Art aus je-
nem gleichzeitig uͤberhandnehmenden Naturalismus ableitet,
das Symptom mit der Veranlaſſung. Ganz andere und all-
gemeinere Veranlaſſungen liegen zur Hand; die Bewunderung
claſſiſcher Gediegenheit hatte die Italiener jener Zeit gegen die
minder ſcheinbaren, vielleicht unſcheinbar gewordenen Vorzuͤge
der chriſtlichen Lebensanſicht verblendet, in Vielen Gleichguͤl-
tigkeit, in Einigen ſogar Haß gegen die ſittlich-religioͤſe Rich-
tung des Chriſtenthumes hervorgerufen, wie Jedem bekannt
iſt, welcher in der Geſchichte und Literatur jener Zeit ein we-
nig ſich umgeſehn. Wie in den neueſten Zeiten, ſo war auch
ſchon damals ein Theil der Geſinnungen und Anſichten der
wiſſenſchaftlich Gebildeten auf Solche uͤbergegangen, welche,
gleich den Kuͤnſtlern, ſich mit jenen beruͤhrten. Daher denn
erklaͤrt ſich die Abkuͤhlung der Begeiſterung fuͤr chriſtliche
Kunſtaufgaben, welche in der That einer groͤßeren Verbrei-
tung des Naturalismus nur etwa Raum gegeben hat, keines-
weges dieſem letzten gewichen iſt. War es doch eben Ange-
lico da Fieſole
, welcher in phyſiognomiſcher Beziehung allen
florentiniſchen Naturaliſten vorgeleuchtet hat; fehlte doch die
chriſtlich und moͤnchiſche Begeiſterung auch denen, und beſonders
eben denen, welche aus Traͤgheit, oder Unfaͤhigkeit in der Nach-
ahmung des Einzelnen hinter ihren Zeitgenoſſen zuruͤckgeblie-
ben ſind!

Uebergehen wir hier eine Reihe fruͤher, vielleicht noch un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0282" n="264"/>
          <p>Gewiß i&#x017F;t die Wahrnehmung, daß die Florentiner der<lb/>
bezeichneten Epoche die my&#x017F;ti&#x017F;ch, oder ethi&#x017F;ch religio&#x0364;&#x017F;en Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen damaliger Kun&#x017F;taufgaben mei&#x017F;t ohne lebhaften An-<lb/>
theil, oder nur obenhin behandelt haben, an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ganz<lb/>
richtig; indeß verwech&#x017F;elt, wer die&#x017F;es allgemeine Nachla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der Begei&#x017F;terung fu&#x0364;r Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der bezeichneten Art aus je-<lb/>
nem gleichzeitig u&#x0364;berhandnehmenden Naturalismus ableitet,<lb/>
das Symptom mit der Veranla&#x017F;&#x017F;ung. Ganz andere und all-<lb/>
gemeinere Veranla&#x017F;&#x017F;ungen liegen zur Hand; die Bewunderung<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Gediegenheit hatte die Italiener jener Zeit gegen die<lb/>
minder &#x017F;cheinbaren, vielleicht un&#x017F;cheinbar gewordenen Vorzu&#x0364;ge<lb/>
der chri&#x017F;tlichen Lebensan&#x017F;icht verblendet, in Vielen Gleichgu&#x0364;l-<lb/>
tigkeit, in Einigen &#x017F;ogar Haß gegen die &#x017F;ittlich-religio&#x0364;&#x017F;e Rich-<lb/>
tung des Chri&#x017F;tenthumes hervorgerufen, wie Jedem bekannt<lb/>
i&#x017F;t, welcher in der Ge&#x017F;chichte und Literatur jener Zeit ein we-<lb/>
nig &#x017F;ich umge&#x017F;ehn. Wie in den neue&#x017F;ten Zeiten, &#x017F;o war auch<lb/>
&#x017F;chon damals ein Theil der Ge&#x017F;innungen und An&#x017F;ichten der<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich Gebildeten auf Solche u&#x0364;bergegangen, welche,<lb/>
gleich den Ku&#x0364;n&#x017F;tlern, &#x017F;ich mit jenen beru&#x0364;hrten. Daher denn<lb/>
erkla&#x0364;rt &#x017F;ich die Abku&#x0364;hlung der Begei&#x017F;terung fu&#x0364;r chri&#x017F;tliche<lb/>
Kun&#x017F;taufgaben, welche in der That einer gro&#x0364;ßeren Verbrei-<lb/>
tung des Naturalismus nur etwa Raum gegeben hat, keines-<lb/>
weges die&#x017F;em letzten gewichen i&#x017F;t. War es doch eben <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118503081">Ange-<lb/>
lico da Fie&#x017F;ole</persName>, welcher in phy&#x017F;iognomi&#x017F;cher Beziehung allen<lb/>
florentini&#x017F;chen Naturali&#x017F;ten vorgeleuchtet hat; fehlte doch die<lb/>
chri&#x017F;tlich und mo&#x0364;nchi&#x017F;che Begei&#x017F;terung auch denen, und be&#x017F;onders<lb/>
eben denen, welche aus Tra&#x0364;gheit, oder Unfa&#x0364;higkeit in der Nach-<lb/>
ahmung des Einzelnen hinter ihren Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en zuru&#x0364;ckgeblie-<lb/>
ben &#x017F;ind!</p><lb/>
          <p>Uebergehen wir hier eine Reihe fru&#x0364;her, vielleicht noch un-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0282] Gewiß iſt die Wahrnehmung, daß die Florentiner der bezeichneten Epoche die myſtiſch, oder ethiſch religioͤſen Vor- ſtellungen damaliger Kunſtaufgaben meiſt ohne lebhaften An- theil, oder nur obenhin behandelt haben, an ſich ſelbſt ganz richtig; indeß verwechſelt, wer dieſes allgemeine Nachlaſſen der Begeiſterung fuͤr Gegenſtaͤnde der bezeichneten Art aus je- nem gleichzeitig uͤberhandnehmenden Naturalismus ableitet, das Symptom mit der Veranlaſſung. Ganz andere und all- gemeinere Veranlaſſungen liegen zur Hand; die Bewunderung claſſiſcher Gediegenheit hatte die Italiener jener Zeit gegen die minder ſcheinbaren, vielleicht unſcheinbar gewordenen Vorzuͤge der chriſtlichen Lebensanſicht verblendet, in Vielen Gleichguͤl- tigkeit, in Einigen ſogar Haß gegen die ſittlich-religioͤſe Rich- tung des Chriſtenthumes hervorgerufen, wie Jedem bekannt iſt, welcher in der Geſchichte und Literatur jener Zeit ein we- nig ſich umgeſehn. Wie in den neueſten Zeiten, ſo war auch ſchon damals ein Theil der Geſinnungen und Anſichten der wiſſenſchaftlich Gebildeten auf Solche uͤbergegangen, welche, gleich den Kuͤnſtlern, ſich mit jenen beruͤhrten. Daher denn erklaͤrt ſich die Abkuͤhlung der Begeiſterung fuͤr chriſtliche Kunſtaufgaben, welche in der That einer groͤßeren Verbrei- tung des Naturalismus nur etwa Raum gegeben hat, keines- weges dieſem letzten gewichen iſt. War es doch eben Ange- lico da Fieſole, welcher in phyſiognomiſcher Beziehung allen florentiniſchen Naturaliſten vorgeleuchtet hat; fehlte doch die chriſtlich und moͤnchiſche Begeiſterung auch denen, und beſonders eben denen, welche aus Traͤgheit, oder Unfaͤhigkeit in der Nach- ahmung des Einzelnen hinter ihren Zeitgenoſſen zuruͤckgeblie- ben ſind! Uebergehen wir hier eine Reihe fruͤher, vielleicht noch un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/282
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/282>, abgerufen am 22.06.2024.