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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Darstellungen eine größere Fülle und Deutlichkeit zu geben. --
Freylich verläugnet Angelico nirgend die vorwaltende Stim-
mung seiner Seele, neigt sich an keiner Stelle zum Star-
ken, Mächtigen, Zürnenden, kaum einmal zum tief Schmerz-
lichen; doch gefiel er sich, den einen Charakter milder See-
lengüte durch eine Unermeßlichkeit von Abstufungen hindurch
zu führen. Diese werden wir indeß nur in seinen Gesichtsbil-
dungen aufsuchen wollen, deren innerer Zusammenhang unter
den modernen Malern ihm zuerst ganz aufgegangen ist. Hin-
gegen blieb ihm die Gestalt stets fremd, weßhalb er überall,
wo er in der Handhabung des Leibes über den einfachen Zu-
schnitt der giottesken Manier hinausging, wohl noch die Be-
wegung des Oberleibes beherrschte, doch selten das Unterge-
stelle, welches in seinen Gemälden meist sehr unbelebt und
hölzern läßt. Auch lag es außer seinem Absehn, die maleri-
sche Anordnung, gleich dem Masaccio, durch schärfere Beleuch-
tung und massige Schattengebung zu unterstützen; obwohl er
den Gang des Gefältes, dessen Antheil an dem Reize maleri-
scher Darstellungen größer ist, als ich zu erklären weiß, mit
ungemeiner Feinheit für seine Zwecke zu benutzen wußte.

Jene ihm eigenthümliche, an sich selbst seltene und schwer
hindurch zu führende Seelenstimmung hat Angelico seinen Zeit-
genossen und Nachfolgern allerdings nicht mittheilen können;
hingegen fand seine leichte und farbige Schattengebung mehr
Eingang, als die massige Behandlung des Masaccio; beson-
ders aber weckte und schärfte er bey den florentinischen Ma-
lern der anderen Hälfte des Jahrhundertes den Sinn für den
Reiz und für die Bedeutung des Mannichfaltigen in der mensch-
lichen Gesichtsbildung.

In dieser Beziehung hatte er zunächst auf den Benozzo

Goz-

Darſtellungen eine groͤßere Fuͤlle und Deutlichkeit zu geben. —
Freylich verlaͤugnet Angelico nirgend die vorwaltende Stim-
mung ſeiner Seele, neigt ſich an keiner Stelle zum Star-
ken, Maͤchtigen, Zuͤrnenden, kaum einmal zum tief Schmerz-
lichen; doch gefiel er ſich, den einen Charakter milder See-
lenguͤte durch eine Unermeßlichkeit von Abſtufungen hindurch
zu fuͤhren. Dieſe werden wir indeß nur in ſeinen Geſichtsbil-
dungen aufſuchen wollen, deren innerer Zuſammenhang unter
den modernen Malern ihm zuerſt ganz aufgegangen iſt. Hin-
gegen blieb ihm die Geſtalt ſtets fremd, weßhalb er uͤberall,
wo er in der Handhabung des Leibes uͤber den einfachen Zu-
ſchnitt der giottesken Manier hinausging, wohl noch die Be-
wegung des Oberleibes beherrſchte, doch ſelten das Unterge-
ſtelle, welches in ſeinen Gemaͤlden meiſt ſehr unbelebt und
hoͤlzern laͤßt. Auch lag es außer ſeinem Abſehn, die maleri-
ſche Anordnung, gleich dem Maſaccio, durch ſchaͤrfere Beleuch-
tung und maſſige Schattengebung zu unterſtuͤtzen; obwohl er
den Gang des Gefaͤltes, deſſen Antheil an dem Reize maleri-
ſcher Darſtellungen groͤßer iſt, als ich zu erklaͤren weiß, mit
ungemeiner Feinheit fuͤr ſeine Zwecke zu benutzen wußte.

Jene ihm eigenthuͤmliche, an ſich ſelbſt ſeltene und ſchwer
hindurch zu fuͤhrende Seelenſtimmung hat Angelico ſeinen Zeit-
genoſſen und Nachfolgern allerdings nicht mittheilen koͤnnen;
hingegen fand ſeine leichte und farbige Schattengebung mehr
Eingang, als die maſſige Behandlung des Maſaccio; beſon-
ders aber weckte und ſchaͤrfte er bey den florentiniſchen Ma-
lern der anderen Haͤlfte des Jahrhundertes den Sinn fuͤr den
Reiz und fuͤr die Bedeutung des Mannichfaltigen in der menſch-
lichen Geſichtsbildung.

In dieſer Beziehung hatte er zunaͤchſt auf den Benozzo

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[256/0274] Darſtellungen eine groͤßere Fuͤlle und Deutlichkeit zu geben. — Freylich verlaͤugnet Angelico nirgend die vorwaltende Stim- mung ſeiner Seele, neigt ſich an keiner Stelle zum Star- ken, Maͤchtigen, Zuͤrnenden, kaum einmal zum tief Schmerz- lichen; doch gefiel er ſich, den einen Charakter milder See- lenguͤte durch eine Unermeßlichkeit von Abſtufungen hindurch zu fuͤhren. Dieſe werden wir indeß nur in ſeinen Geſichtsbil- dungen aufſuchen wollen, deren innerer Zuſammenhang unter den modernen Malern ihm zuerſt ganz aufgegangen iſt. Hin- gegen blieb ihm die Geſtalt ſtets fremd, weßhalb er uͤberall, wo er in der Handhabung des Leibes uͤber den einfachen Zu- ſchnitt der giottesken Manier hinausging, wohl noch die Be- wegung des Oberleibes beherrſchte, doch ſelten das Unterge- ſtelle, welches in ſeinen Gemaͤlden meiſt ſehr unbelebt und hoͤlzern laͤßt. Auch lag es außer ſeinem Abſehn, die maleri- ſche Anordnung, gleich dem Maſaccio, durch ſchaͤrfere Beleuch- tung und maſſige Schattengebung zu unterſtuͤtzen; obwohl er den Gang des Gefaͤltes, deſſen Antheil an dem Reize maleri- ſcher Darſtellungen groͤßer iſt, als ich zu erklaͤren weiß, mit ungemeiner Feinheit fuͤr ſeine Zwecke zu benutzen wußte. Jene ihm eigenthuͤmliche, an ſich ſelbſt ſeltene und ſchwer hindurch zu fuͤhrende Seelenſtimmung hat Angelico ſeinen Zeit- genoſſen und Nachfolgern allerdings nicht mittheilen koͤnnen; hingegen fand ſeine leichte und farbige Schattengebung mehr Eingang, als die maſſige Behandlung des Maſaccio; beſon- ders aber weckte und ſchaͤrfte er bey den florentiniſchen Ma- lern der anderen Haͤlfte des Jahrhundertes den Sinn fuͤr den Reiz und fuͤr die Bedeutung des Mannichfaltigen in der menſch- lichen Geſichtsbildung. In dieſer Beziehung hatte er zunaͤchſt auf den Benozzo Goz-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/274>, abgerufen am 17.05.2024.