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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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etwa um 1430., ihren Anfang genommen, foderte die An-
strengungen mächtig ringender, in der Tiefe ihres Daseyns
aufgeregter Geister.

Niemand ist es entgangen, daß die ältere, zu überbie-
tende Manier der malerischen Darstellung im Ganzen ange-
sehn, theils der Rundung, theils auch aller physiognomischen
Feinheit und Schärfe entbehrte. Was in derselben klar und
erfaßlich und, nach den Umständen, ergreifend ist, beruhet auf
einer gewissen, allerdings sinnreichen Handhabung der Bewe-
gung, oder des allgemeinen sich Gehabens der Gestalten;
denn von den Gesichtsformen besaßen die Giottesken nur das
Nothdürftigste, zur ungefähren Andeutung der Affecte Unent-
behrlichste. Mehrung der Rundung, tieferes Eingehn in die
Austheilung, in den Zusammenhang, in die vielfältigsten Ab-
stufungen des Reizes und der Bedeutung menschlicher Ge-
sichtsformen, war demnach die nächste Voraussetzung alles
Fortschreitens in Dingen der malerischen Darstellung.

Vielleicht überstieg vereinte Lösung beider Aufgaben die
Kräfte damaliger Künstler; oder auch gefiel es dem Geiste
der Geschichte zwey verschiedenen Künstlern jedem seine eigene
Aufgabe zu ertheilen. Masaccio übernahm die Erforschung
des Helldunkels, der Rundung und Auseinandersetzung zusam-
mengeordneter Gestalten; Angelico da Fiesole hingegen die Er-
gründung des inneren Zusammenhanges, der einwohnenden
Bedeutung menschlicher Gesichtszüge, deren Fundgruben er
zuerst der Malerey eröffnet und in höchster Fülle für seine ihm
ganz eigenthümlichen Kunstzwecke benutzt hat.

Da für die Lebensumstände des Masaccio keine ihm gleich-
zeitige Quelle bekannt ist, so müssen wir uns, hinsichtlich der
Zeit und der Ergebnisse seiner Wirksamkeit auf die stets bedenk-

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etwa um 1430., ihren Anfang genommen, foderte die An-
ſtrengungen maͤchtig ringender, in der Tiefe ihres Daſeyns
aufgeregter Geiſter.

Niemand iſt es entgangen, daß die aͤltere, zu uͤberbie-
tende Manier der maleriſchen Darſtellung im Ganzen ange-
ſehn, theils der Rundung, theils auch aller phyſiognomiſchen
Feinheit und Schaͤrfe entbehrte. Was in derſelben klar und
erfaßlich und, nach den Umſtaͤnden, ergreifend iſt, beruhet auf
einer gewiſſen, allerdings ſinnreichen Handhabung der Bewe-
gung, oder des allgemeinen ſich Gehabens der Geſtalten;
denn von den Geſichtsformen beſaßen die Giottesken nur das
Nothduͤrftigſte, zur ungefaͤhren Andeutung der Affecte Unent-
behrlichſte. Mehrung der Rundung, tieferes Eingehn in die
Austheilung, in den Zuſammenhang, in die vielfaͤltigſten Ab-
ſtufungen des Reizes und der Bedeutung menſchlicher Ge-
ſichtsformen, war demnach die naͤchſte Vorausſetzung alles
Fortſchreitens in Dingen der maleriſchen Darſtellung.

Vielleicht uͤberſtieg vereinte Loͤſung beider Aufgaben die
Kraͤfte damaliger Kuͤnſtler; oder auch gefiel es dem Geiſte
der Geſchichte zwey verſchiedenen Kuͤnſtlern jedem ſeine eigene
Aufgabe zu ertheilen. Maſaccio uͤbernahm die Erforſchung
des Helldunkels, der Rundung und Auseinanderſetzung zuſam-
mengeordneter Geſtalten; Angelico da Fieſole hingegen die Er-
gruͤndung des inneren Zuſammenhanges, der einwohnenden
Bedeutung menſchlicher Geſichtszuͤge, deren Fundgruben er
zuerſt der Malerey eroͤffnet und in hoͤchſter Fuͤlle fuͤr ſeine ihm
ganz eigenthuͤmlichen Kunſtzwecke benutzt hat.

Da fuͤr die Lebensumſtaͤnde des Maſaccio keine ihm gleich-
zeitige Quelle bekannt iſt, ſo muͤſſen wir uns, hinſichtlich der
Zeit und der Ergebniſſe ſeiner Wirkſamkeit auf die ſtets bedenk-

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[243/0261] etwa um 1430., ihren Anfang genommen, foderte die An- ſtrengungen maͤchtig ringender, in der Tiefe ihres Daſeyns aufgeregter Geiſter. Niemand iſt es entgangen, daß die aͤltere, zu uͤberbie- tende Manier der maleriſchen Darſtellung im Ganzen ange- ſehn, theils der Rundung, theils auch aller phyſiognomiſchen Feinheit und Schaͤrfe entbehrte. Was in derſelben klar und erfaßlich und, nach den Umſtaͤnden, ergreifend iſt, beruhet auf einer gewiſſen, allerdings ſinnreichen Handhabung der Bewe- gung, oder des allgemeinen ſich Gehabens der Geſtalten; denn von den Geſichtsformen beſaßen die Giottesken nur das Nothduͤrftigſte, zur ungefaͤhren Andeutung der Affecte Unent- behrlichſte. Mehrung der Rundung, tieferes Eingehn in die Austheilung, in den Zuſammenhang, in die vielfaͤltigſten Ab- ſtufungen des Reizes und der Bedeutung menſchlicher Ge- ſichtsformen, war demnach die naͤchſte Vorausſetzung alles Fortſchreitens in Dingen der maleriſchen Darſtellung. Vielleicht uͤberſtieg vereinte Loͤſung beider Aufgaben die Kraͤfte damaliger Kuͤnſtler; oder auch gefiel es dem Geiſte der Geſchichte zwey verſchiedenen Kuͤnſtlern jedem ſeine eigene Aufgabe zu ertheilen. Maſaccio uͤbernahm die Erforſchung des Helldunkels, der Rundung und Auseinanderſetzung zuſam- mengeordneter Geſtalten; Angelico da Fieſole hingegen die Er- gruͤndung des inneren Zuſammenhanges, der einwohnenden Bedeutung menſchlicher Geſichtszuͤge, deren Fundgruben er zuerſt der Malerey eroͤffnet und in hoͤchſter Fuͤlle fuͤr ſeine ihm ganz eigenthuͤmlichen Kunſtzwecke benutzt hat. Da fuͤr die Lebensumſtaͤnde des Maſaccio keine ihm gleich- zeitige Quelle bekannt iſt, ſo muͤſſen wir uns, hinſichtlich der Zeit und der Ergebniſſe ſeiner Wirkſamkeit auf die ſtets bedenk- 16 *

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/261>, abgerufen am 22.11.2024.