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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Abtheilungen des Fußbodens im Inneren des Domes. Die
völlige Ausbildung dieser Kunstart fällt in einen vorgerückten
Abschnitt des sechzehnten Jahrhunderts, wie sie denn in der
That jene Gewöhnung an starke und massige Contraste vor-
aussetzt, welche nicht früher eingetreten, als an der Grenze
der Manier.

Bey so viel innerer Unhaltbarkeit, bey gänzlicher Abwe-
senheit historischer Beweise, hätten die angeblichen Geschicht-
schreiber neuerer Kunstschulen anstehen müssen, dem Vasari,
den sie doch sonst nicht ungern und häufig ohne hinreichende
Gründe verbessern, so unbedenklich zu folgen, als überall ge-
schehen ist, wo man veranlaßt war, jener eigenthümlichen
Kunstarbeiten zu erwähnen. Gehen doch einige so weit, uns
sogar die Gestalt nachzuweisen, an welcher Duccio seine an-
gebliche Erfindung in Anwendung gesetzt haben soll, und deren
Ausdruck zu bewundern. Gewiß enthält das Archiv der siene-
sischen Domverwaltung, welches ich in kunsthistorischer Bezie-
hung ganz durchgesehn, nicht eine Zeile, welche auf diese
Figur, noch überhaupt darauf zu deuten wäre, daß man schon
im vierzehnten Jahrhunderte mehrfarbigen Marmor zu histo-
rischen Bildern vereinigt habe. Lanzi *) folgte demnach, als
er jene Figur dem Duccio beylegte, entweder seinem eige-
nen Kennergefühle, oder doch nur der anmaßlichen Autorität
seines Zeitgenossen Della Valle.

Vasari hingegen erwähnet der Erfindung in ganz allge-
meinen Ausdrücken, ohne seine Quelle, oder nun gar ein

*) Storia pitt. scuola Senese. epoca seconda. -- "e di Duc-
cio
nel coro una verginella, che ginocchione etc
." -- Vielleicht ist
die Wahrheit an dieser Stelle von geringem Belang; doch wozu
die Lüge?

Abtheilungen des Fußbodens im Inneren des Domes. Die
voͤllige Ausbildung dieſer Kunſtart faͤllt in einen vorgeruͤckten
Abſchnitt des ſechzehnten Jahrhunderts, wie ſie denn in der
That jene Gewoͤhnung an ſtarke und maſſige Contraſte vor-
ausſetzt, welche nicht fruͤher eingetreten, als an der Grenze
der Manier.

Bey ſo viel innerer Unhaltbarkeit, bey gaͤnzlicher Abwe-
ſenheit hiſtoriſcher Beweiſe, haͤtten die angeblichen Geſchicht-
ſchreiber neuerer Kunſtſchulen anſtehen muͤſſen, dem Vaſari,
den ſie doch ſonſt nicht ungern und haͤufig ohne hinreichende
Gruͤnde verbeſſern, ſo unbedenklich zu folgen, als uͤberall ge-
ſchehen iſt, wo man veranlaßt war, jener eigenthuͤmlichen
Kunſtarbeiten zu erwaͤhnen. Gehen doch einige ſo weit, uns
ſogar die Geſtalt nachzuweiſen, an welcher Duccio ſeine an-
gebliche Erfindung in Anwendung geſetzt haben ſoll, und deren
Ausdruck zu bewundern. Gewiß enthaͤlt das Archiv der ſiene-
ſiſchen Domverwaltung, welches ich in kunſthiſtoriſcher Bezie-
hung ganz durchgeſehn, nicht eine Zeile, welche auf dieſe
Figur, noch uͤberhaupt darauf zu deuten waͤre, daß man ſchon
im vierzehnten Jahrhunderte mehrfarbigen Marmor zu hiſto-
riſchen Bildern vereinigt habe. Lanzi *) folgte demnach, als
er jene Figur dem Duccio beylegte, entweder ſeinem eige-
nen Kennergefuͤhle, oder doch nur der anmaßlichen Autoritaͤt
ſeines Zeitgenoſſen Della Valle.

Vaſari hingegen erwaͤhnet der Erfindung in ganz allge-
meinen Ausdruͤcken, ohne ſeine Quelle, oder nun gar ein

*) Storia pitt. scuola Senese. epoca seconda. — „è di Duc-
cio
nel coro una verginella, che ginocchione etc
.“ — Vielleicht iſt
die Wahrheit an dieſer Stelle von geringem Belang; doch wozu
die Luͤge?
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[8/0026] Abtheilungen des Fußbodens im Inneren des Domes. Die voͤllige Ausbildung dieſer Kunſtart faͤllt in einen vorgeruͤckten Abſchnitt des ſechzehnten Jahrhunderts, wie ſie denn in der That jene Gewoͤhnung an ſtarke und maſſige Contraſte vor- ausſetzt, welche nicht fruͤher eingetreten, als an der Grenze der Manier. Bey ſo viel innerer Unhaltbarkeit, bey gaͤnzlicher Abwe- ſenheit hiſtoriſcher Beweiſe, haͤtten die angeblichen Geſchicht- ſchreiber neuerer Kunſtſchulen anſtehen muͤſſen, dem Vaſari, den ſie doch ſonſt nicht ungern und haͤufig ohne hinreichende Gruͤnde verbeſſern, ſo unbedenklich zu folgen, als uͤberall ge- ſchehen iſt, wo man veranlaßt war, jener eigenthuͤmlichen Kunſtarbeiten zu erwaͤhnen. Gehen doch einige ſo weit, uns ſogar die Geſtalt nachzuweiſen, an welcher Duccio ſeine an- gebliche Erfindung in Anwendung geſetzt haben ſoll, und deren Ausdruck zu bewundern. Gewiß enthaͤlt das Archiv der ſiene- ſiſchen Domverwaltung, welches ich in kunſthiſtoriſcher Bezie- hung ganz durchgeſehn, nicht eine Zeile, welche auf dieſe Figur, noch uͤberhaupt darauf zu deuten waͤre, daß man ſchon im vierzehnten Jahrhunderte mehrfarbigen Marmor zu hiſto- riſchen Bildern vereinigt habe. Lanzi *) folgte demnach, als er jene Figur dem Duccio beylegte, entweder ſeinem eige- nen Kennergefuͤhle, oder doch nur der anmaßlichen Autoritaͤt ſeines Zeitgenoſſen Della Valle. Vaſari hingegen erwaͤhnet der Erfindung in ganz allge- meinen Ausdruͤcken, ohne ſeine Quelle, oder nun gar ein *) Storia pitt. scuola Senese. epoca seconda. — „è di Duc- cio nel coro una verginella, che ginocchione etc.“ — Vielleicht iſt die Wahrheit an dieſer Stelle von geringem Belang; doch wozu die Luͤge?

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/26>, abgerufen am 20.04.2024.