eben so vollständig, wenn nicht selbst (der mehrseitigen An- sicht willen), vollkommener darlegen könne, als die Malerey; hingegen Bewegung und Ausdruck nur innerhalb gewisser, höchst beengter Grenzen. Da nun Ghiberti, welcher die Na- tur mit Verehrung und Liebe studirt hatte *), an Bezeichnun- gen des eigenthümlichen Seyns unendlich reich war, so besaß er Vieles, was auch bildnerisch auszudrücken ist; und eben dieses (der Charakter,) verleihet seinen Werken jenen inneren Werth, dem nimmer die allgemeinste Anerkennung gefehlt hat, noch jemals entgehen konnte. Das Irrige und Willkührliche in seiner Handhabung des bildnerischen Stoffes wird eben daher abgesonderter und reiner in den Arbeiten des Donato aufzufassen seyn, welcher seinen Mangel an Richtigkeit und Fülle der Charakteristik durch Uebertreibungen der Züge einer einzigen Durchschnittsform zu ersetzen suchte.
Gilt die Voraussetzung: daß die Künstler, vermöge einer unerklärlichen Verschiedenheit und Sonderung innerhalb dersel- ben Anlage, bald mehr zur Handhabung des bildnerischen Stoffes, bald wiederum des malerischen berufen werden; so war Donato sicher mehr, als sein naher Vorgänger und Zeit- genosse, von Haus aus zum Bildner bestimmt. -- Ghiberti ließ nicht selten die Gestalt in malerischer Weichheit gleichsam in sich selbst verfließen, wie bey den schönen und schön ge- wendeten Engeln an der Rückseite des Reliquiensarges des florentinischen Domes **), deren Leiber, nach dem Herkom-
*) S. Cod. cit. an jenen schon angezogenen und anderen Stellen.
**)La cassa di S. Zanobi, unter dem Altare der Haupttribune. -- S. Belege I. 1.
eben ſo vollſtaͤndig, wenn nicht ſelbſt (der mehrſeitigen An- ſicht willen), vollkommener darlegen koͤnne, als die Malerey; hingegen Bewegung und Ausdruck nur innerhalb gewiſſer, hoͤchſt beengter Grenzen. Da nun Ghiberti, welcher die Na- tur mit Verehrung und Liebe ſtudirt hatte *), an Bezeichnun- gen des eigenthuͤmlichen Seyns unendlich reich war, ſo beſaß er Vieles, was auch bildneriſch auszudruͤcken iſt; und eben dieſes (der Charakter,) verleihet ſeinen Werken jenen inneren Werth, dem nimmer die allgemeinſte Anerkennung gefehlt hat, noch jemals entgehen konnte. Das Irrige und Willkuͤhrliche in ſeiner Handhabung des bildneriſchen Stoffes wird eben daher abgeſonderter und reiner in den Arbeiten des Donato aufzufaſſen ſeyn, welcher ſeinen Mangel an Richtigkeit und Fuͤlle der Charakteriſtik durch Uebertreibungen der Zuͤge einer einzigen Durchſchnittsform zu erſetzen ſuchte.
Gilt die Vorausſetzung: daß die Kuͤnſtler, vermoͤge einer unerklaͤrlichen Verſchiedenheit und Sonderung innerhalb derſel- ben Anlage, bald mehr zur Handhabung des bildneriſchen Stoffes, bald wiederum des maleriſchen berufen werden; ſo war Donato ſicher mehr, als ſein naher Vorgaͤnger und Zeit- genoſſe, von Haus aus zum Bildner beſtimmt. — Ghiberti ließ nicht ſelten die Geſtalt in maleriſcher Weichheit gleichſam in ſich ſelbſt verfließen, wie bey den ſchoͤnen und ſchoͤn ge- wendeten Engeln an der Ruͤckſeite des Reliquienſarges des florentiniſchen Domes **), deren Leiber, nach dem Herkom-
*) S. Cod. cit. an jenen ſchon angezogenen und anderen Stellen.
**)La cassa di S. Zanobi, unter dem Altare der Haupttribune. — S. Belege I. 1.
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eben ſo vollſtaͤndig, wenn nicht ſelbſt (der mehrſeitigen An-
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hingegen Bewegung und Ausdruck nur innerhalb gewiſſer,
hoͤchſt beengter Grenzen. Da nun Ghiberti, welcher die Na-
tur mit Verehrung und Liebe ſtudirt hatte *), an Bezeichnun-
gen des eigenthuͤmlichen Seyns unendlich reich war, ſo beſaß
er Vieles, was auch bildneriſch auszudruͤcken iſt; und eben
dieſes (der Charakter,) verleihet ſeinen Werken jenen inneren
Werth, dem nimmer die allgemeinſte Anerkennung gefehlt hat,
noch jemals entgehen konnte. Das Irrige und Willkuͤhrliche
in ſeiner Handhabung des bildneriſchen Stoffes wird eben
daher abgeſonderter und reiner in den Arbeiten des Donato
aufzufaſſen ſeyn, welcher ſeinen Mangel an Richtigkeit und
Fuͤlle der Charakteriſtik durch Uebertreibungen der Zuͤge einer
einzigen Durchſchnittsform zu erſetzen ſuchte.
Gilt die Vorausſetzung: daß die Kuͤnſtler, vermoͤge einer
unerklaͤrlichen Verſchiedenheit und Sonderung innerhalb derſel-
ben Anlage, bald mehr zur Handhabung des bildneriſchen
Stoffes, bald wiederum des maleriſchen berufen werden; ſo
war Donato ſicher mehr, als ſein naher Vorgaͤnger und Zeit-
genoſſe, von Haus aus zum Bildner beſtimmt. — Ghiberti
ließ nicht ſelten die Geſtalt in maleriſcher Weichheit gleichſam
in ſich ſelbſt verfließen, wie bey den ſchoͤnen und ſchoͤn ge-
wendeten Engeln an der Ruͤckſeite des Reliquienſarges des
florentiniſchen Domes **), deren Leiber, nach dem Herkom-
*) S. Cod. cit. an jenen ſchon angezogenen und anderen
Stellen.
**) La cassa di S. Zanobi, unter dem Altare der Haupttribune.
— S. Belege I. 1.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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