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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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den, welche sie nach naheliegenden Voraussetzungen hätten
hervorrufen müssen. Arcagno hatte die Profile der Heiligen
auf seiner Tafel *) in sta Maria novella schon individualisirt
und in seinem großen Rilievo an der Rückseite der Madon-
nenkappelle in Orsanmichele das älteste Bildniß der italienischen
Kunstgeschichte (sein eigenes) mit größtem Erfolge durchge-
führt; Giovanni da Melano vor allen anderen die Möglich-
keit und die Vortheile der Modellirung, und in der Auffas-
sung und Benutzung der Extremitäten, eine bis dahin unbe-
kannte Feinheit des Sinnes dargelegt. Demungeachtet zeigt
sich bey den florentinischen Malern späterer Zeiten, bis zum
Auftreten des Fiesole, keine Spur jener physiognomischen Be-
zeichnungen des Arcagno; bis auf Masaccio, keine Nachwir-
kung des Strebens nach Rundung, welches Giovanni da Me-

Tiefe des Gefühles, Reinheit der Anordnung, Anmuth der Wen-
dung, Zierlichkeit der Ausbildung, gleich gekommen sey, welche sein
bescheidener Schüler Taddeo in sechs kleinen Bildern der Samm-
lung der florentinischen Kunstschule (Galleria de' quadri piccoli)
dargelegt hat; wer würde darüber zu entscheiden wagen, nachdem
die meisten und wichtigsten Arbeiten des Giotto untergegangen sind.
Indeß erregen die Vorhandenen Zweifel; seine Manier scheint darin
durchhin auf Schnelligkeit der Beschaffung angelegt zu seyn. Tad-
deo
hingegen hatte sich darauf eingerichtet, zierlich und emsig zu
beendigen. -- In der bezeichneten Folge, welche überall an das Le-
ben der Hl. Cäcilia in santo Stefano erinnert, ist besonders die
Geburt des Heilands wohl erhalten und bis in die Nebenwerke
schön beendigt. Half ihm darin Giovanni da Melano? Gewiß,
wäre es ausgemacht, daß er des Taddeo Geselle gewesen, möchte
ich mir die schönen Thierbildungen dieses kleinen Gemäldes eben
nur daher erklären.
*) Die Inschrift in der Mitte des Sockels: Anni domini
MCCCLVII. Andreas Cionis de Florentia me pinxit
. Zu den Sei-
ten die Namen der Hll.

den, welche ſie nach naheliegenden Vorausſetzungen haͤtten
hervorrufen muͤſſen. Arcagno hatte die Profile der Heiligen
auf ſeiner Tafel *) in ſta Maria novella ſchon individualiſirt
und in ſeinem großen Rilievo an der Ruͤckſeite der Madon-
nenkappelle in Orſanmichele das aͤlteſte Bildniß der italieniſchen
Kunſtgeſchichte (ſein eigenes) mit groͤßtem Erfolge durchge-
fuͤhrt; Giovanni da Melano vor allen anderen die Moͤglich-
keit und die Vortheile der Modellirung, und in der Auffaſ-
ſung und Benutzung der Extremitaͤten, eine bis dahin unbe-
kannte Feinheit des Sinnes dargelegt. Demungeachtet zeigt
ſich bey den florentiniſchen Malern ſpaͤterer Zeiten, bis zum
Auftreten des Fieſole, keine Spur jener phyſiognomiſchen Be-
zeichnungen des Arcagno; bis auf Maſaccio, keine Nachwir-
kung des Strebens nach Rundung, welches Giovanni da Me-

Tiefe des Gefuͤhles, Reinheit der Anordnung, Anmuth der Wen-
dung, Zierlichkeit der Ausbildung, gleich gekommen ſey, welche ſein
beſcheidener Schuͤler Taddeo in ſechs kleinen Bildern der Samm-
lung der florentiniſchen Kunſtſchule (Galleria de’ quadri piccoli)
dargelegt hat; wer wuͤrde daruͤber zu entſcheiden wagen, nachdem
die meiſten und wichtigſten Arbeiten des Giotto untergegangen ſind.
Indeß erregen die Vorhandenen Zweifel; ſeine Manier ſcheint darin
durchhin auf Schnelligkeit der Beſchaffung angelegt zu ſeyn. Tad-
deo
hingegen hatte ſich darauf eingerichtet, zierlich und emſig zu
beendigen. — In der bezeichneten Folge, welche uͤberall an das Le-
ben der Hl. Caͤcilia in ſanto Stefano erinnert, iſt beſonders die
Geburt des Heilands wohl erhalten und bis in die Nebenwerke
ſchoͤn beendigt. Half ihm darin Giovanni da Melano? Gewiß,
waͤre es ausgemacht, daß er des Taddeo Geſelle geweſen, moͤchte
ich mir die ſchoͤnen Thierbildungen dieſes kleinen Gemaͤldes eben
nur daher erklaͤren.
*) Die Inſchrift in der Mitte des Sockels: Anni domini
MCCCLVII. Andreas Cionis de Florentia me pinxit
. Zu den Sei-
ten die Namen der Hll.
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[216/0234] den, welche ſie nach naheliegenden Vorausſetzungen haͤtten hervorrufen muͤſſen. Arcagno hatte die Profile der Heiligen auf ſeiner Tafel *) in ſta Maria novella ſchon individualiſirt und in ſeinem großen Rilievo an der Ruͤckſeite der Madon- nenkappelle in Orſanmichele das aͤlteſte Bildniß der italieniſchen Kunſtgeſchichte (ſein eigenes) mit groͤßtem Erfolge durchge- fuͤhrt; Giovanni da Melano vor allen anderen die Moͤglich- keit und die Vortheile der Modellirung, und in der Auffaſ- ſung und Benutzung der Extremitaͤten, eine bis dahin unbe- kannte Feinheit des Sinnes dargelegt. Demungeachtet zeigt ſich bey den florentiniſchen Malern ſpaͤterer Zeiten, bis zum Auftreten des Fieſole, keine Spur jener phyſiognomiſchen Be- zeichnungen des Arcagno; bis auf Maſaccio, keine Nachwir- kung des Strebens nach Rundung, welches Giovanni da Me- *) *) Die Inſchrift in der Mitte des Sockels: Anni domini MCCCLVII. Andreas Cionis de Florentia me pinxit. Zu den Sei- ten die Namen der Hll. *) Tiefe des Gefuͤhles, Reinheit der Anordnung, Anmuth der Wen- dung, Zierlichkeit der Ausbildung, gleich gekommen ſey, welche ſein beſcheidener Schuͤler Taddeo in ſechs kleinen Bildern der Samm- lung der florentiniſchen Kunſtſchule (Galleria de’ quadri piccoli) dargelegt hat; wer wuͤrde daruͤber zu entſcheiden wagen, nachdem die meiſten und wichtigſten Arbeiten des Giotto untergegangen ſind. Indeß erregen die Vorhandenen Zweifel; ſeine Manier ſcheint darin durchhin auf Schnelligkeit der Beſchaffung angelegt zu ſeyn. Tad- deo hingegen hatte ſich darauf eingerichtet, zierlich und emſig zu beendigen. — In der bezeichneten Folge, welche uͤberall an das Le- ben der Hl. Caͤcilia in ſanto Stefano erinnert, iſt beſonders die Geburt des Heilands wohl erhalten und bis in die Nebenwerke ſchoͤn beendigt. Half ihm darin Giovanni da Melano? Gewiß, waͤre es ausgemacht, daß er des Taddeo Geſelle geweſen, moͤchte ich mir die ſchoͤnen Thierbildungen dieſes kleinen Gemaͤldes eben nur daher erklaͤren.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/234>, abgerufen am 05.05.2024.