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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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getheilt haben; gewiß erreichten sie ihre Vorbilder weder in
der Idee, noch in der Ausführung. Dagegen durften die spä-
teren, denen die griechische Manier durch Schule geläufig war,
bereits darauf ausgehn, ihre Vorbilder zu übertreffen. In
den Werken der größesten jener Maler in griechischer Manier,
des Sienesers Duccio di Buoninsegna, des Florentiners
Cimabue, spricht es sich deutlich aus, daß sie mit vollem
Bewußtseyn darauf ausgegangen sind: in den Charakteren
sittliche Würde, in Gebehrden und Handlungen Ernst und
Feyer auszudrücken; daß sie sich bemüht haben, das Ueberlie-
ferte, mit dem sie's sichtlich sehr ernstlich nahmen, im eigenen
Geiste möglichst zu verjüngen. Bis auf ihre Zeit hatte, durch
mechanische Nachbildung christlich-antiker Kunstgebilde, beson-
ders in der neugriechischen Malerey, wie es in vielen der frü-
her angeführten Miniaturen einzusehn ist, manche rohe Andeu-
tung ursprünglich mit wissenschaftlicher Deutlichkeit aufgefaß-
ter Formen sich erhalten; dürftige Ueberreste der antiken, per-
spectivisch und anatomisch begründeten Zeichnungsart. Duc-
cio
und Cimabue empfanden den Werth dieser Bezeichnun-
gen, welche erst in der Folge, vornehmlich durch Giotto aus
der italienischen Malerey verdrängt worden sind; doch streb-
ten sie, das Grelle ihrer Verknöcherung zu mildern, indem sie
solche halbverstandene Züge mit dem Leben verglichen, wie wir
angesichts ihrer Leistungen vermuthen und annehmen dürfen.

Indeß genießen diese Künstler, deren Hauptwerke zugäng-
lich sind und selten von Reisenden übersehen werden, einer so
weit verbreiteten Anerkennung, daß ich meine Aufgabe an die-
ser Stelle dahin beschränken darf: einzelne Momente ihrer
Geschichte nachzubessern und gelegentlich das wahre Verhältniß
der sienesischen Kunstgeschichte des dreyzehnten Jahrhundertes

getheilt haben; gewiß erreichten ſie ihre Vorbilder weder in
der Idee, noch in der Ausfuͤhrung. Dagegen durften die ſpaͤ-
teren, denen die griechiſche Manier durch Schule gelaͤufig war,
bereits darauf ausgehn, ihre Vorbilder zu uͤbertreffen. In
den Werken der groͤßeſten jener Maler in griechiſcher Manier,
des Sieneſers Duccio di Buoninſegna, des Florentiners
Cimabue, ſpricht es ſich deutlich aus, daß ſie mit vollem
Bewußtſeyn darauf ausgegangen ſind: in den Charakteren
ſittliche Wuͤrde, in Gebehrden und Handlungen Ernſt und
Feyer auszudruͤcken; daß ſie ſich bemuͤht haben, das Ueberlie-
ferte, mit dem ſie’s ſichtlich ſehr ernſtlich nahmen, im eigenen
Geiſte moͤglichſt zu verjuͤngen. Bis auf ihre Zeit hatte, durch
mechaniſche Nachbildung chriſtlich-antiker Kunſtgebilde, beſon-
ders in der neugriechiſchen Malerey, wie es in vielen der fruͤ-
her angefuͤhrten Miniaturen einzuſehn iſt, manche rohe Andeu-
tung urſpruͤnglich mit wiſſenſchaftlicher Deutlichkeit aufgefaß-
ter Formen ſich erhalten; duͤrftige Ueberreſte der antiken, per-
ſpectiviſch und anatomiſch begruͤndeten Zeichnungsart. Duc-
cio
und Cimabue empfanden den Werth dieſer Bezeichnun-
gen, welche erſt in der Folge, vornehmlich durch Giotto aus
der italieniſchen Malerey verdraͤngt worden ſind; doch ſtreb-
ten ſie, das Grelle ihrer Verknoͤcherung zu mildern, indem ſie
ſolche halbverſtandene Zuͤge mit dem Leben verglichen, wie wir
angeſichts ihrer Leiſtungen vermuthen und annehmen duͤrfen.

Indeß genießen dieſe Kuͤnſtler, deren Hauptwerke zugaͤng-
lich ſind und ſelten von Reiſenden uͤberſehen werden, einer ſo
weit verbreiteten Anerkennung, daß ich meine Aufgabe an die-
ſer Stelle dahin beſchraͤnken darf: einzelne Momente ihrer
Geſchichte nachzubeſſern und gelegentlich das wahre Verhaͤltniß
der ſieneſiſchen Kunſtgeſchichte des dreyzehnten Jahrhundertes

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[4/0022] getheilt haben; gewiß erreichten ſie ihre Vorbilder weder in der Idee, noch in der Ausfuͤhrung. Dagegen durften die ſpaͤ- teren, denen die griechiſche Manier durch Schule gelaͤufig war, bereits darauf ausgehn, ihre Vorbilder zu uͤbertreffen. In den Werken der groͤßeſten jener Maler in griechiſcher Manier, des Sieneſers Duccio di Buoninſegna, des Florentiners Cimabue, ſpricht es ſich deutlich aus, daß ſie mit vollem Bewußtſeyn darauf ausgegangen ſind: in den Charakteren ſittliche Wuͤrde, in Gebehrden und Handlungen Ernſt und Feyer auszudruͤcken; daß ſie ſich bemuͤht haben, das Ueberlie- ferte, mit dem ſie’s ſichtlich ſehr ernſtlich nahmen, im eigenen Geiſte moͤglichſt zu verjuͤngen. Bis auf ihre Zeit hatte, durch mechaniſche Nachbildung chriſtlich-antiker Kunſtgebilde, beſon- ders in der neugriechiſchen Malerey, wie es in vielen der fruͤ- her angefuͤhrten Miniaturen einzuſehn iſt, manche rohe Andeu- tung urſpruͤnglich mit wiſſenſchaftlicher Deutlichkeit aufgefaß- ter Formen ſich erhalten; duͤrftige Ueberreſte der antiken, per- ſpectiviſch und anatomiſch begruͤndeten Zeichnungsart. Duc- cio und Cimabue empfanden den Werth dieſer Bezeichnun- gen, welche erſt in der Folge, vornehmlich durch Giotto aus der italieniſchen Malerey verdraͤngt worden ſind; doch ſtreb- ten ſie, das Grelle ihrer Verknoͤcherung zu mildern, indem ſie ſolche halbverſtandene Zuͤge mit dem Leben verglichen, wie wir angeſichts ihrer Leiſtungen vermuthen und annehmen duͤrfen. Indeß genießen dieſe Kuͤnſtler, deren Hauptwerke zugaͤng- lich ſind und ſelten von Reiſenden uͤberſehen werden, einer ſo weit verbreiteten Anerkennung, daß ich meine Aufgabe an die- ſer Stelle dahin beſchraͤnken darf: einzelne Momente ihrer Geſchichte nachzubeſſern und gelegentlich das wahre Verhaͤltniß der ſieneſiſchen Kunſtgeſchichte des dreyzehnten Jahrhundertes

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/22>, abgerufen am 24.04.2024.