Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Lage verhinderte, dasselbe beträchtlich zu erweitern, einen
ganz neuen Bau zu unternehmen. Um auf der anderen Seite
soviel, als möglich, das Vorhandene zu benutzen, und einen
Theil des alten Gebäudes der neuen Kirche anzuschließen,
ward diese längs des nordwestlichen Abhanges hin in einer
solchen Richtung angelegt, daß sie das ältere Gebäude in rech-
tem Winkel berührte und bey gänzlicher Beendigung würde
gestattet haben, dessen rund überwölbtes Chor mit der neuen
Kirche zu verbinden. Die Schwierigkeiten, denen eine solche
Vereinigung des alten mit dem neuen Dome unterlag, waren
dem Ansehn nach anfänglich nicht hinreichend erwogen worden;
vielleicht glaubte der Baumeister, man werde sich in der Folge
schon entschließen, den alten Bau ganz abzuräumen, und ent-
hielt sich vor der Hand, die Bauherrn durch eine gänzliche
Enthüllung seines Planes abzuschrecken.

Dieser Plan, dessen Urheber wir leider nicht kennen, war
allerdings der Ausführung werth; so weit man aus den Ueber-
resten der vollendeteren Theile, mit Hülfe einiger alten im Ar-
chiv der sienesischen Bauhütte bewahrten Grundrisse auf das
Absehn des Künstlers schließen kann, würde der neue Dom zu
Siena alle gleichzeitige Gebäude seiner Art sowohl an Um-
fang, als an Schönheit der Anlage und Ausführung weit
übertroffen haben. Der gothische Baugeschmack ist darin glück-
licher, als an anderen Stellen, mit antiken Reminiscenzen und
italienischen Eigenthümlichkeiten ausgeglichen, die Arbeit durch-
hin vortrefflich. Herrlich würde die Vorseite des Gebäudes
über die Hauptstraße hervorgeragt haben, von welcher eine
breite Scalinata zur Schwelle der Haupt-Thore führen sollte.
Von dieser würde man einen Theil der tiefer liegenden Stadt
und der umliegenden Landschaft übersehen haben; den Eigen-

ſeine Lage verhinderte, daſſelbe betraͤchtlich zu erweitern, einen
ganz neuen Bau zu unternehmen. Um auf der anderen Seite
ſoviel, als moͤglich, das Vorhandene zu benutzen, und einen
Theil des alten Gebaͤudes der neuen Kirche anzuſchließen,
ward dieſe laͤngs des nordweſtlichen Abhanges hin in einer
ſolchen Richtung angelegt, daß ſie das aͤltere Gebaͤude in rech-
tem Winkel beruͤhrte und bey gaͤnzlicher Beendigung wuͤrde
geſtattet haben, deſſen rund uͤberwoͤlbtes Chor mit der neuen
Kirche zu verbinden. Die Schwierigkeiten, denen eine ſolche
Vereinigung des alten mit dem neuen Dome unterlag, waren
dem Anſehn nach anfaͤnglich nicht hinreichend erwogen worden;
vielleicht glaubte der Baumeiſter, man werde ſich in der Folge
ſchon entſchließen, den alten Bau ganz abzuraͤumen, und ent-
hielt ſich vor der Hand, die Bauherrn durch eine gaͤnzliche
Enthuͤllung ſeines Planes abzuſchrecken.

Dieſer Plan, deſſen Urheber wir leider nicht kennen, war
allerdings der Ausfuͤhrung werth; ſo weit man aus den Ueber-
reſten der vollendeteren Theile, mit Huͤlfe einiger alten im Ar-
chiv der ſieneſiſchen Bauhuͤtte bewahrten Grundriſſe auf das
Abſehn des Kuͤnſtlers ſchließen kann, wuͤrde der neue Dom zu
Siena alle gleichzeitige Gebaͤude ſeiner Art ſowohl an Um-
fang, als an Schoͤnheit der Anlage und Ausfuͤhrung weit
uͤbertroffen haben. Der gothiſche Baugeſchmack iſt darin gluͤck-
licher, als an anderen Stellen, mit antiken Reminiſcenzen und
italieniſchen Eigenthuͤmlichkeiten ausgeglichen, die Arbeit durch-
hin vortrefflich. Herrlich wuͤrde die Vorſeite des Gebaͤudes
uͤber die Hauptſtraße hervorgeragt haben, von welcher eine
breite Scalinata zur Schwelle der Haupt-Thore fuͤhren ſollte.
Von dieſer wuͤrde man einen Theil der tiefer liegenden Stadt
und der umliegenden Landſchaft uͤberſehen haben; den Eigen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="127"/>
&#x017F;eine Lage verhinderte, da&#x017F;&#x017F;elbe betra&#x0364;chtlich zu erweitern, einen<lb/>
ganz neuen Bau zu unternehmen. Um auf der anderen Seite<lb/>
&#x017F;oviel, als mo&#x0364;glich, das Vorhandene zu benutzen, und einen<lb/>
Theil des alten Geba&#x0364;udes der neuen Kirche anzu&#x017F;chließen,<lb/>
ward die&#x017F;e la&#x0364;ngs des nordwe&#x017F;tlichen Abhanges hin in einer<lb/>
&#x017F;olchen Richtung angelegt, daß &#x017F;ie das a&#x0364;ltere Geba&#x0364;ude in rech-<lb/>
tem Winkel beru&#x0364;hrte und bey ga&#x0364;nzlicher Beendigung wu&#x0364;rde<lb/>
ge&#x017F;tattet haben, de&#x017F;&#x017F;en rund u&#x0364;berwo&#x0364;lbtes Chor mit der neuen<lb/>
Kirche zu verbinden. Die Schwierigkeiten, denen eine &#x017F;olche<lb/>
Vereinigung des alten mit dem neuen Dome unterlag, waren<lb/>
dem An&#x017F;ehn nach anfa&#x0364;nglich nicht hinreichend erwogen worden;<lb/>
vielleicht glaubte der Baumei&#x017F;ter, man werde &#x017F;ich in der Folge<lb/>
&#x017F;chon ent&#x017F;chließen, den alten Bau ganz abzura&#x0364;umen, und ent-<lb/>
hielt &#x017F;ich vor der Hand, die Bauherrn durch eine ga&#x0364;nzliche<lb/>
Enthu&#x0364;llung &#x017F;eines Planes abzu&#x017F;chrecken.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Plan, de&#x017F;&#x017F;en Urheber wir leider nicht kennen, war<lb/>
allerdings der Ausfu&#x0364;hrung werth; &#x017F;o weit man aus den Ueber-<lb/>
re&#x017F;ten der vollendeteren Theile, mit Hu&#x0364;lfe einiger alten im Ar-<lb/>
chiv der &#x017F;iene&#x017F;i&#x017F;chen Bauhu&#x0364;tte bewahrten Grundri&#x017F;&#x017F;e auf das<lb/>
Ab&#x017F;ehn des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers &#x017F;chließen kann, wu&#x0364;rde der neue Dom zu<lb/><placeName>Siena</placeName> alle gleichzeitige Geba&#x0364;ude &#x017F;einer Art &#x017F;owohl an Um-<lb/>
fang, als an Scho&#x0364;nheit der Anlage und Ausfu&#x0364;hrung weit<lb/>
u&#x0364;bertroffen haben. Der gothi&#x017F;che Bauge&#x017F;chmack i&#x017F;t darin glu&#x0364;ck-<lb/>
licher, als an anderen Stellen, mit antiken Remini&#x017F;cenzen und<lb/>
italieni&#x017F;chen Eigenthu&#x0364;mlichkeiten ausgeglichen, die Arbeit durch-<lb/>
hin vortrefflich. Herrlich wu&#x0364;rde die Vor&#x017F;eite des Geba&#x0364;udes<lb/>
u&#x0364;ber die Haupt&#x017F;traße hervorgeragt haben, von welcher eine<lb/>
breite Scalinata zur Schwelle der Haupt-Thore fu&#x0364;hren &#x017F;ollte.<lb/>
Von die&#x017F;er wu&#x0364;rde man einen Theil der tiefer liegenden Stadt<lb/>
und der umliegenden Land&#x017F;chaft u&#x0364;ber&#x017F;ehen haben; den Eigen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0145] ſeine Lage verhinderte, daſſelbe betraͤchtlich zu erweitern, einen ganz neuen Bau zu unternehmen. Um auf der anderen Seite ſoviel, als moͤglich, das Vorhandene zu benutzen, und einen Theil des alten Gebaͤudes der neuen Kirche anzuſchließen, ward dieſe laͤngs des nordweſtlichen Abhanges hin in einer ſolchen Richtung angelegt, daß ſie das aͤltere Gebaͤude in rech- tem Winkel beruͤhrte und bey gaͤnzlicher Beendigung wuͤrde geſtattet haben, deſſen rund uͤberwoͤlbtes Chor mit der neuen Kirche zu verbinden. Die Schwierigkeiten, denen eine ſolche Vereinigung des alten mit dem neuen Dome unterlag, waren dem Anſehn nach anfaͤnglich nicht hinreichend erwogen worden; vielleicht glaubte der Baumeiſter, man werde ſich in der Folge ſchon entſchließen, den alten Bau ganz abzuraͤumen, und ent- hielt ſich vor der Hand, die Bauherrn durch eine gaͤnzliche Enthuͤllung ſeines Planes abzuſchrecken. Dieſer Plan, deſſen Urheber wir leider nicht kennen, war allerdings der Ausfuͤhrung werth; ſo weit man aus den Ueber- reſten der vollendeteren Theile, mit Huͤlfe einiger alten im Ar- chiv der ſieneſiſchen Bauhuͤtte bewahrten Grundriſſe auf das Abſehn des Kuͤnſtlers ſchließen kann, wuͤrde der neue Dom zu Siena alle gleichzeitige Gebaͤude ſeiner Art ſowohl an Um- fang, als an Schoͤnheit der Anlage und Ausfuͤhrung weit uͤbertroffen haben. Der gothiſche Baugeſchmack iſt darin gluͤck- licher, als an anderen Stellen, mit antiken Reminiſcenzen und italieniſchen Eigenthuͤmlichkeiten ausgeglichen, die Arbeit durch- hin vortrefflich. Herrlich wuͤrde die Vorſeite des Gebaͤudes uͤber die Hauptſtraße hervorgeragt haben, von welcher eine breite Scalinata zur Schwelle der Haupt-Thore fuͤhren ſollte. Von dieſer wuͤrde man einen Theil der tiefer liegenden Stadt und der umliegenden Landſchaft uͤberſehen haben; den Eigen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/145
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/145>, abgerufen am 07.05.2024.