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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Sinn und die Wünsche gewaltiger Herrscher die griechische
Kunst von lieblicher Unbefangenheit und schauerlicher Tiefe
zum äußeren Glanze, zur Wirkung hinüberlenkte. Und hierin
werden wir nicht, wie Manche, einen Fortschritt wahrzuneh-
men glauben, vielmehr nur bewundern können, daß unbewußte
Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer
nächsten Vorgänger, die Künstler, welche so verderblichen An-
sichten sich hingegeben, doch in der Hauptsache noch lange
beym Rechten erhalten und, bis zum gänzlichen Versiegen,
die alte Kunst vor jener grenzenlosen Verirrung in Manieren
bewahrt hat, welche den neuesten Jahrhunderten vorbehal-
ten blieb.

Allein auch die neuere Kunst ward keinesweges gleichsam
todt geboren, und befolgte daher von ihrem ersten Aufstreben
bis auf ihren höchsten Gipfel noch immer die Ansicht des
Alterthumes: daß alle darstellenden Formen der Kunst, als
in der Natur gegebene, vom Künstler erlernt und erworben,
nicht etwa willkührlich erdacht und erbildet werden müssen.
Wenn wir nur im Gesicht behalten, daß die Kunst auf ihren
früheren Stufen sich mit den allgemeinsten Zügen der Natur
begnügt, theils weil es so zur Darstellung ihrer Aufgaben
genügt, theils weil sie noch weit von dem Wunsche, oder
Vermögen entfernt ist, illusorische Wirkungen hervorzubringen;
so werden wir schon in Cimabue's mächtiger Jungfrau, vor-
nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in
anderen Werken dieser Zeit wahrnehmen können, daß man
in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin-
ausgestrebt, auch der Natur sich angenähert, ihr Feinheiten
und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den nächst vor-
angehenden, stumpfsinnigeren Künstlern noch durchaus fremd

Sinn und die Wuͤnſche gewaltiger Herrſcher die griechiſche
Kunſt von lieblicher Unbefangenheit und ſchauerlicher Tiefe
zum aͤußeren Glanze, zur Wirkung hinuͤberlenkte. Und hierin
werden wir nicht, wie Manche, einen Fortſchritt wahrzuneh-
men glauben, vielmehr nur bewundern koͤnnen, daß unbewußte
Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer
naͤchſten Vorgaͤnger, die Kuͤnſtler, welche ſo verderblichen An-
ſichten ſich hingegeben, doch in der Hauptſache noch lange
beym Rechten erhalten und, bis zum gaͤnzlichen Verſiegen,
die alte Kunſt vor jener grenzenloſen Verirrung in Manieren
bewahrt hat, welche den neueſten Jahrhunderten vorbehal-
ten blieb.

Allein auch die neuere Kunſt ward keinesweges gleichſam
todt geboren, und befolgte daher von ihrem erſten Aufſtreben
bis auf ihren hoͤchſten Gipfel noch immer die Anſicht des
Alterthumes: daß alle darſtellenden Formen der Kunſt, als
in der Natur gegebene, vom Kuͤnſtler erlernt und erworben,
nicht etwa willkuͤhrlich erdacht und erbildet werden muͤſſen.
Wenn wir nur im Geſicht behalten, daß die Kunſt auf ihren
fruͤheren Stufen ſich mit den allgemeinſten Zuͤgen der Natur
begnuͤgt, theils weil es ſo zur Darſtellung ihrer Aufgaben
genuͤgt, theils weil ſie noch weit von dem Wunſche, oder
Vermoͤgen entfernt iſt, illuſoriſche Wirkungen hervorzubringen;
ſo werden wir ſchon in Cimabue’s maͤchtiger Jungfrau, vor-
nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in
anderen Werken dieſer Zeit wahrnehmen koͤnnen, daß man
in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin-
ausgeſtrebt, auch der Natur ſich angenaͤhert, ihr Feinheiten
und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den naͤchſt vor-
angehenden, ſtumpfſinnigeren Kuͤnſtlern noch durchaus fremd

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[31/0049] Sinn und die Wuͤnſche gewaltiger Herrſcher die griechiſche Kunſt von lieblicher Unbefangenheit und ſchauerlicher Tiefe zum aͤußeren Glanze, zur Wirkung hinuͤberlenkte. Und hierin werden wir nicht, wie Manche, einen Fortſchritt wahrzuneh- men glauben, vielmehr nur bewundern koͤnnen, daß unbewußte Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer naͤchſten Vorgaͤnger, die Kuͤnſtler, welche ſo verderblichen An- ſichten ſich hingegeben, doch in der Hauptſache noch lange beym Rechten erhalten und, bis zum gaͤnzlichen Verſiegen, die alte Kunſt vor jener grenzenloſen Verirrung in Manieren bewahrt hat, welche den neueſten Jahrhunderten vorbehal- ten blieb. Allein auch die neuere Kunſt ward keinesweges gleichſam todt geboren, und befolgte daher von ihrem erſten Aufſtreben bis auf ihren hoͤchſten Gipfel noch immer die Anſicht des Alterthumes: daß alle darſtellenden Formen der Kunſt, als in der Natur gegebene, vom Kuͤnſtler erlernt und erworben, nicht etwa willkuͤhrlich erdacht und erbildet werden muͤſſen. Wenn wir nur im Geſicht behalten, daß die Kunſt auf ihren fruͤheren Stufen ſich mit den allgemeinſten Zuͤgen der Natur begnuͤgt, theils weil es ſo zur Darſtellung ihrer Aufgaben genuͤgt, theils weil ſie noch weit von dem Wunſche, oder Vermoͤgen entfernt iſt, illuſoriſche Wirkungen hervorzubringen; ſo werden wir ſchon in Cimabue’s maͤchtiger Jungfrau, vor- nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in anderen Werken dieſer Zeit wahrnehmen koͤnnen, daß man in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin- ausgeſtrebt, auch der Natur ſich angenaͤhert, ihr Feinheiten und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den naͤchſt vor- angehenden, ſtumpfſinnigeren Kuͤnſtlern noch durchaus fremd

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/49>, abgerufen am 23.11.2024.