Allein auch in einer viel neueren Epoche verknüpfte er mancherley halbverstandene Angaben älterer und neuerer Schriftsteller zu einer ganz falschen Entwickelung. Er sagt nem- lich: "bis auf diese Zeit (des Cimabue) hielt sich die Malerey im Geschmack- und Einsichtslosen; den Figuren fehlte es an guter Stellung und an richtigem Verhältniß; sie standen auf den Spiz- zen der Füße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen mehr Ansehen zu geben, und die Trockenheit der grie- chischen Musaicisten zu verlassen. -- Diese Vorzüge bewirkten, daß man den Cimabue allgemeinhin als den Wie- derhersteller der Malerey betrachtete."
Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht stehenden Füßen, welche Lastri wahrscheinlich aus dem Vasari, schwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden sich, lange nach Cimabue, noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver- drängung ist demnach dem Cimabue eben so wenig beyzulegen, als der Vorzug, sich von der griechischen Manier entfernt zu haben, da er gerade in dieser Malart Meister war. Indeß sollte der Ruhm, den Cimabue unter seinen Zeitgenossen erlangt hatte, auf alle Weise gerettet werden; als Stifter der neueren Kunst war er nicht länger anzusehen, nachdem unter den äl- teren Künstlern wenigstens Guido von Siena und Giunta von Pisa bekannter geworden; also mußte er, da es bey den ma- teriellen Kunstansichten neuerer Italiener entfernt lag, seinen Ruhm auf eine gewisse Ueberlegenheit und Mächtigkeit des Geistes zu gründen, mindestens ein Verbesserer äußerlicher Handhabungen der Kunst gewesen seyn.
In wie weit indeß Cimabue, oder Duccio, oder andere der spätesten Nachahmer griechischer Vorbilder, diese in äuße-
Allein auch in einer viel neueren Epoche verknuͤpfte er mancherley halbverſtandene Angaben aͤlterer und neuerer Schriftſteller zu einer ganz falſchen Entwickelung. Er ſagt nem- lich: „bis auf dieſe Zeit (des Cimabue) hielt ſich die Malerey im Geſchmack- und Einſichtsloſen; den Figuren fehlte es an guter Stellung und an richtigem Verhaͤltniß; ſie ſtanden auf den Spiz- zen der Fuͤße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen mehr Anſehen zu geben, und die Trockenheit der grie- chiſchen Muſaiciſten zu verlaſſen. — Dieſe Vorzuͤge bewirkten, daß man den Cimabue allgemeinhin als den Wie- derherſteller der Malerey betrachtete.“
Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht ſtehenden Fuͤßen, welche Laſtri wahrſcheinlich aus dem Vaſari, ſchwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden ſich, lange nach Cimabue, noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver- draͤngung iſt demnach dem Cimabue eben ſo wenig beyzulegen, als der Vorzug, ſich von der griechiſchen Manier entfernt zu haben, da er gerade in dieſer Malart Meiſter war. Indeß ſollte der Ruhm, den Cimabue unter ſeinen Zeitgenoſſen erlangt hatte, auf alle Weiſe gerettet werden; als Stifter der neueren Kunſt war er nicht laͤnger anzuſehen, nachdem unter den aͤl- teren Kuͤnſtlern wenigſtens Guido von Siena und Giunta von Piſa bekannter geworden; alſo mußte er, da es bey den ma- teriellen Kunſtanſichten neuerer Italiener entfernt lag, ſeinen Ruhm auf eine gewiſſe Ueberlegenheit und Maͤchtigkeit des Geiſtes zu gruͤnden, mindeſtens ein Verbeſſerer aͤußerlicher Handhabungen der Kunſt geweſen ſeyn.
In wie weit indeß Cimabue, oder Duccio, oder andere der ſpaͤteſten Nachahmer griechiſcher Vorbilder, dieſe in aͤuße-
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Allein auch in einer viel neueren Epoche verknuͤpfte er
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lich: „bis auf dieſe Zeit (des Cimabue) hielt ſich die Malerey im
Geſchmack- und Einſichtsloſen; den Figuren fehlte es an guter
Stellung und an richtigem Verhaͤltniß; ſie ſtanden auf den Spiz-
zen der Fuͤße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber
des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen
mehr Anſehen zu geben, und die Trockenheit der grie-
chiſchen Muſaiciſten zu verlaſſen. — Dieſe Vorzuͤge
bewirkten, daß man den Cimabue allgemeinhin als den Wie-
derherſteller der Malerey betrachtete.“
Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht ſtehenden
Fuͤßen, welche Laſtri wahrſcheinlich aus dem Vaſari,
ſchwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden ſich, lange
nach Cimabue, noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver-
draͤngung iſt demnach dem Cimabue eben ſo wenig beyzulegen,
als der Vorzug, ſich von der griechiſchen Manier entfernt zu
haben, da er gerade in dieſer Malart Meiſter war. Indeß
ſollte der Ruhm, den Cimabue unter ſeinen Zeitgenoſſen erlangt
hatte, auf alle Weiſe gerettet werden; als Stifter der neueren
Kunſt war er nicht laͤnger anzuſehen, nachdem unter den aͤl-
teren Kuͤnſtlern wenigſtens Guido von Siena und Giunta von
Piſa bekannter geworden; alſo mußte er, da es bey den ma-
teriellen Kunſtanſichten neuerer Italiener entfernt lag, ſeinen
Ruhm auf eine gewiſſe Ueberlegenheit und Maͤchtigkeit des
Geiſtes zu gruͤnden, mindeſtens ein Verbeſſerer aͤußerlicher
Handhabungen der Kunſt geweſen ſeyn.
In wie weit indeß Cimabue, oder Duccio, oder andere
der ſpaͤteſten Nachahmer griechiſcher Vorbilder, dieſe in aͤuße-
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/344>, abgerufen am 28.07.2024.
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