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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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muthsvollen Erfindung angehören; und sogar die angeblich
griechischen Lehrmeister des Cimabue, denen ich bisher vergeb-
lich nachgespürt *), dürften allem Ansehen nach bloß auf Ver-
muthungen beruhen. Wir wollen seinen Quellen nachspüren,
einmal, um zu zeigen, wie flüchtig Vasari sie benutzt; dann
aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit,
aus welchen äußeren Veranlassungen und inneren Gründen der
Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthüm-
lichen Vorzüge oder Mängel die italienische Malerey von da-
her angenommen habe.

Jener Sage von einer gänzlichen Unterbrechung der ita-
lienischen Kunstübung begegnen wir zuerst im Leo von Ostia,
einem Schriftsteller des eilften Jahrhunderts. Dieser meldet **),
daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Klosters zu
Monte Cassino, Desiderius, aus Constantinopel griechische
Musaicisten berufen habe, um die Wölbung über dem Haupt-
altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entsprechend,
auszuzieren. Junge Mönche habe dieser Abt in der Musiv-
malerey unterweisen lassen, weil man während der vorange-
henden fünfhundert Jahre, d. i. seit Einwanderung der Lon-
gobarden, in Italien diese Kunstarbeit entweder ganz ausge-
setzt, oder doch vernachlässigt hatte ***).


*) Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa,
delle chiese di Firenze,
werde ich unten zu prüfen Gelegenheit finden.
**) S. Leo Ost. lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge-
hoben bey Muratori, antt. It. Diss. 24.
***) Leo l. c. -- "Artium istarum ingenium a Quingentis et
ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat."
-- Der Abt habe
die Novizen darin unterrichten lassen: ne sane id ultra Italiae
deperiret.
--

muthsvollen Erfindung angehoͤren; und ſogar die angeblich
griechiſchen Lehrmeiſter des Cimabue, denen ich bisher vergeb-
lich nachgeſpuͤrt *), duͤrften allem Anſehen nach bloß auf Ver-
muthungen beruhen. Wir wollen ſeinen Quellen nachſpuͤren,
einmal, um zu zeigen, wie fluͤchtig Vaſari ſie benutzt; dann
aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit,
aus welchen aͤußeren Veranlaſſungen und inneren Gruͤnden der
Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthuͤm-
lichen Vorzuͤge oder Maͤngel die italieniſche Malerey von da-
her angenommen habe.

Jener Sage von einer gaͤnzlichen Unterbrechung der ita-
lieniſchen Kunſtuͤbung begegnen wir zuerſt im Leo von Oſtia,
einem Schriftſteller des eilften Jahrhunderts. Dieſer meldet **),
daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Kloſters zu
Monte Caſſino, Deſiderius, aus Conſtantinopel griechiſche
Muſaiciſten berufen habe, um die Woͤlbung uͤber dem Haupt-
altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entſprechend,
auszuzieren. Junge Moͤnche habe dieſer Abt in der Muſiv-
malerey unterweiſen laſſen, weil man waͤhrend der vorange-
henden fuͤnfhundert Jahre, d. i. ſeit Einwanderung der Lon-
gobarden, in Italien dieſe Kunſtarbeit entweder ganz ausge-
ſetzt, oder doch vernachlaͤſſigt hatte ***).


*) Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa,
delle chiese di Firenze,
werde ich unten zu pruͤfen Gelegenheit finden.
**) S. Leo Ost. lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge-
hoben bey Muratori, antt. It. Diss. 24.
***) Leo l. c. — „Artium istarum ingenium a Quingentis et
ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat.“
— Der Abt habe
die Novizen darin unterrichten laſſen: ne sane id ultra Italiae
deperiret.
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[287/0305] muthsvollen Erfindung angehoͤren; und ſogar die angeblich griechiſchen Lehrmeiſter des Cimabue, denen ich bisher vergeb- lich nachgeſpuͤrt *), duͤrften allem Anſehen nach bloß auf Ver- muthungen beruhen. Wir wollen ſeinen Quellen nachſpuͤren, einmal, um zu zeigen, wie fluͤchtig Vaſari ſie benutzt; dann aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit, aus welchen aͤußeren Veranlaſſungen und inneren Gruͤnden der Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthuͤm- lichen Vorzuͤge oder Maͤngel die italieniſche Malerey von da- her angenommen habe. Jener Sage von einer gaͤnzlichen Unterbrechung der ita- lieniſchen Kunſtuͤbung begegnen wir zuerſt im Leo von Oſtia, einem Schriftſteller des eilften Jahrhunderts. Dieſer meldet **), daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Kloſters zu Monte Caſſino, Deſiderius, aus Conſtantinopel griechiſche Muſaiciſten berufen habe, um die Woͤlbung uͤber dem Haupt- altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entſprechend, auszuzieren. Junge Moͤnche habe dieſer Abt in der Muſiv- malerey unterweiſen laſſen, weil man waͤhrend der vorange- henden fuͤnfhundert Jahre, d. i. ſeit Einwanderung der Lon- gobarden, in Italien dieſe Kunſtarbeit entweder ganz ausge- ſetzt, oder doch vernachlaͤſſigt hatte ***). *) Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa, delle chiese di Firenze, werde ich unten zu pruͤfen Gelegenheit finden. **) S. Leo Ost. lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge- hoben bey Muratori, antt. It. Diss. 24. ***) Leo l. c. — „Artium istarum ingenium a Quingentis et ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat.“ — Der Abt habe die Novizen darin unterrichten laſſen: ne sane id ultra Italiae deperiret. —

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/305>, abgerufen am 15.08.2024.