Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

nehmlich den neueren Deutschen in einem engeren Sinne Poesie
heißt *). Die Verschiedenheit beider Künste, welche vortreff-
liche Geister von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemüht sind,
beruht also nicht auf Eigenthümlichkeiten der Art, oder Wen-
dung des Geistes, aus welchem sie hervorgehen, sondern ein-
zig auf Forderungen und Möglichkeiten des so ganz verschie-
denen Stoffes der Darstellung der einen und der andern Kunst-
art. In den bildenden Künsten nemlich wird das anschaulich
Erfaßte auch für die Anschauung, in Formen, oder durch den
Schein von Formen, dargestellt; in der Poesie aber beruht
die Darstellung des anschaulich und künstlerisch Erfaßten auf
einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an sich
selbst, wie es einleuchtet, dem poetischen Denken widerstrebt
und gerade entgegensteht. Daher denn kann die Poesie, wie
sie auch durch abgemessene Rede und malerische Wortklänge
(der Mimen nicht zu gedenken) sich zu helfen suche, doch in
der Darstellung des anschaulich Erfaßten mit den bildenden
Künsten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag
sie, vermöge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar-
stellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinüberzuschwei-
fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter-
thume der Dichtkunst, Poesie und Philosophie meistens Hand

*) Toelken (über das verschiedene Verhältniß der antiken
und modernen Malerey zur Poesie etc. Berlin, Nicolaische Buch-
handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung
die Poesie wenigstens der neueren Malerey entgegenstellt (S. 31),
ebenfalls darauf zurück, daß Poesie in diesem Sinne allerdings auch
die Grundlage der bildenden Künste sey. Göthe, aus meinem
Leben, Bd. II. S. 348. "Die Gipfel beyder schienen nun getrennt,
wie nah ihre Basen auch zusammenstoßen mochten."

nehmlich den neueren Deutſchen in einem engeren Sinne Poeſie
heißt *). Die Verſchiedenheit beider Kuͤnſte, welche vortreff-
liche Geiſter von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemuͤht ſind,
beruht alſo nicht auf Eigenthuͤmlichkeiten der Art, oder Wen-
dung des Geiſtes, aus welchem ſie hervorgehen, ſondern ein-
zig auf Forderungen und Moͤglichkeiten des ſo ganz verſchie-
denen Stoffes der Darſtellung der einen und der andern Kunſt-
art. In den bildenden Kuͤnſten nemlich wird das anſchaulich
Erfaßte auch fuͤr die Anſchauung, in Formen, oder durch den
Schein von Formen, dargeſtellt; in der Poeſie aber beruht
die Darſtellung des anſchaulich und kuͤnſtleriſch Erfaßten auf
einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an ſich
ſelbſt, wie es einleuchtet, dem poetiſchen Denken widerſtrebt
und gerade entgegenſteht. Daher denn kann die Poeſie, wie
ſie auch durch abgemeſſene Rede und maleriſche Wortklaͤnge
(der Mimen nicht zu gedenken) ſich zu helfen ſuche, doch in
der Darſtellung des anſchaulich Erfaßten mit den bildenden
Kuͤnſten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag
ſie, vermoͤge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar-
ſtellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinuͤberzuſchwei-
fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter-
thume der Dichtkunſt, Poeſie und Philoſophie meiſtens Hand

*) Toelken (uͤber das verſchiedene Verhaͤltniß der antiken
und modernen Malerey zur Poeſie ꝛc. Berlin, Nicolaiſche Buch-
handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung
die Poeſie wenigſtens der neueren Malerey entgegenſtellt (S. 31),
ebenfalls darauf zuruͤck, daß Poeſie in dieſem Sinne allerdings auch
die Grundlage der bildenden Kuͤnſte ſey. Goͤthe, aus meinem
Leben, Bd. II. S. 348. „Die Gipfel beyder ſchienen nun getrennt,
wie nah ihre Baſen auch zuſammenſtoßen mochten.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="9"/>
nehmlich den neueren Deut&#x017F;chen in einem engeren Sinne Poe&#x017F;ie<lb/>
heißt <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117404993">Toelken</persName></hi> (u&#x0364;ber das ver&#x017F;chiedene Verha&#x0364;ltniß der antiken<lb/>
und modernen Malerey zur Poe&#x017F;ie &#xA75B;c. <placeName>Berlin</placeName>, Nicolai&#x017F;che Buch-<lb/>
handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung<lb/>
die Poe&#x017F;ie wenig&#x017F;tens der neueren Malerey entgegen&#x017F;tellt (S. <choice><sic>3</sic><corr>31</corr></choice>),<lb/>
ebenfalls darauf zuru&#x0364;ck, daß Poe&#x017F;ie in die&#x017F;em Sinne allerdings auch<lb/>
die Grundlage der bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;ey. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118540238">Go&#x0364;the</persName></hi>, aus meinem<lb/>
Leben, Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 348. &#x201E;Die Gipfel beyder &#x017F;chienen nun getrennt,<lb/><hi rendition="#g">wie nah ihre Ba&#x017F;en auch zu&#x017F;ammen&#x017F;toßen mochten</hi>.&#x201C;</note>. Die Ver&#x017F;chiedenheit beider Ku&#x0364;n&#x017F;te, welche vortreff-<lb/>
liche Gei&#x017F;ter von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemu&#x0364;ht &#x017F;ind,<lb/>
beruht al&#x017F;o nicht auf Eigenthu&#x0364;mlichkeiten der Art, oder Wen-<lb/>
dung des Gei&#x017F;tes, aus welchem &#x017F;ie hervorgehen, &#x017F;ondern ein-<lb/>
zig auf Forderungen und Mo&#x0364;glichkeiten des &#x017F;o ganz ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Stoffes der Dar&#x017F;tellung der einen und der andern Kun&#x017F;t-<lb/>
art. In den bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;ten nemlich wird das an&#x017F;chaulich<lb/>
Erfaßte auch fu&#x0364;r die An&#x017F;chauung, in Formen, oder durch den<lb/>
Schein von Formen, darge&#x017F;tellt; in der Poe&#x017F;ie aber beruht<lb/>
die Dar&#x017F;tellung des an&#x017F;chaulich und ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;ch Erfaßten auf<lb/>
einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, wie es einleuchtet, dem poeti&#x017F;chen Denken wider&#x017F;trebt<lb/>
und gerade entgegen&#x017F;teht. Daher denn kann die Poe&#x017F;ie, wie<lb/>
&#x017F;ie auch durch abgeme&#x017F;&#x017F;ene Rede und maleri&#x017F;che Wortkla&#x0364;nge<lb/>
(der <choice><sic>Mienen</sic><corr>Mimen</corr></choice> nicht zu gedenken) &#x017F;ich zu helfen &#x017F;uche, doch in<lb/>
der Dar&#x017F;tellung des an&#x017F;chaulich Erfaßten mit den bildenden<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag<lb/>
&#x017F;ie, vermo&#x0364;ge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar-<lb/>
&#x017F;tellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinu&#x0364;berzu&#x017F;chwei-<lb/>
fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter-<lb/>
thume der Dichtkun&#x017F;t, Poe&#x017F;ie und Philo&#x017F;ophie mei&#x017F;tens Hand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0027] nehmlich den neueren Deutſchen in einem engeren Sinne Poeſie heißt *). Die Verſchiedenheit beider Kuͤnſte, welche vortreff- liche Geiſter von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemuͤht ſind, beruht alſo nicht auf Eigenthuͤmlichkeiten der Art, oder Wen- dung des Geiſtes, aus welchem ſie hervorgehen, ſondern ein- zig auf Forderungen und Moͤglichkeiten des ſo ganz verſchie- denen Stoffes der Darſtellung der einen und der andern Kunſt- art. In den bildenden Kuͤnſten nemlich wird das anſchaulich Erfaßte auch fuͤr die Anſchauung, in Formen, oder durch den Schein von Formen, dargeſtellt; in der Poeſie aber beruht die Darſtellung des anſchaulich und kuͤnſtleriſch Erfaßten auf einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an ſich ſelbſt, wie es einleuchtet, dem poetiſchen Denken widerſtrebt und gerade entgegenſteht. Daher denn kann die Poeſie, wie ſie auch durch abgemeſſene Rede und maleriſche Wortklaͤnge (der Mimen nicht zu gedenken) ſich zu helfen ſuche, doch in der Darſtellung des anſchaulich Erfaßten mit den bildenden Kuͤnſten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag ſie, vermoͤge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar- ſtellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinuͤberzuſchwei- fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter- thume der Dichtkunſt, Poeſie und Philoſophie meiſtens Hand *) Toelken (uͤber das verſchiedene Verhaͤltniß der antiken und modernen Malerey zur Poeſie ꝛc. Berlin, Nicolaiſche Buch- handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung die Poeſie wenigſtens der neueren Malerey entgegenſtellt (S. 31), ebenfalls darauf zuruͤck, daß Poeſie in dieſem Sinne allerdings auch die Grundlage der bildenden Kuͤnſte ſey. Goͤthe, aus meinem Leben, Bd. II. S. 348. „Die Gipfel beyder ſchienen nun getrennt, wie nah ihre Baſen auch zuſammenſtoßen mochten.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/27
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/27>, abgerufen am 29.03.2024.