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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un-
mittelbar nach der Eroberung füllen verrätherische, blutige Er-
eignisse *) die fränkische Geschichte, oder Klagen der Geistlich-
keit über den Druck kriegerischer Gewalthaber **), aus welchen
wir abnehmen können, daß auch die römische Bevölkerung die
hergebrachten Künste nur höchst nothdürftig fortbetrieb; aus
Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht über das Maß der
Unvollkommenheit damaliger Kunstübung belehren können, da
solche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder sicher un-
ächt sind ***).

Karl Martell, den wahren Stifter der fränkischen Größe,
beschäftigten kriegerische Thaten; seinen Nachfolger Pipin um-
fassende Ränke der Staatskunst, Befestigung der neuen Ge-
walt; es mußte demnach Karl dem Großen vorbehalten seyn,

die
von seines Neffen Childebert Erbtheil an sich gerissen. Quos ille
(erzählt Gregor) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos
aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens.
Nach der
Sitte der Zeit dürfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa
die Gesandten selbst darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen
Umständen aber konnten diese Circus nur hölzerne Einfänge seyn,
da sogar die Römer solche Gebäude nicht bloß des Schimpfes wil-
len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Kosten, den hier
die Umstände ausschließen, erbauten.
*) S. Gregor. Tur. ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches,
oder lib. VI. c. 35. und a. a. St.
**) Greg. Tur. lib. IV. c. 42. -- Fuitque illo in tempore
pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani.

-- Vergl. den Stoßseufzer im folgenden Kapitel.
***) Wie die meisten bey Montfaucon antt. de la mon.
francoise T. 1. p. 158. pl. XI.
und andere das., etwa mit Ausnahme
des halb zerstörten musivischen Denkmals der Königin Fredegunde,
welches indeß ebenfalls zweifelhaft, worüber Lenoir, musee des
monum. francais,
einzusehen.

den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un-
mittelbar nach der Eroberung fuͤllen verraͤtheriſche, blutige Er-
eigniſſe *) die fraͤnkiſche Geſchichte, oder Klagen der Geiſtlich-
keit uͤber den Druck kriegeriſcher Gewalthaber **), aus welchen
wir abnehmen koͤnnen, daß auch die roͤmiſche Bevoͤlkerung die
hergebrachten Kuͤnſte nur hoͤchſt nothduͤrftig fortbetrieb; aus
Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht uͤber das Maß der
Unvollkommenheit damaliger Kunſtuͤbung belehren koͤnnen, da
ſolche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder ſicher un-
aͤcht ſind ***).

Karl Martell, den wahren Stifter der fraͤnkiſchen Groͤße,
beſchaͤftigten kriegeriſche Thaten; ſeinen Nachfolger Pipin um-
faſſende Raͤnke der Staatskunſt, Befeſtigung der neuen Ge-
walt; es mußte demnach Karl dem Großen vorbehalten ſeyn,

die
von ſeines Neffen Childebert Erbtheil an ſich geriſſen. Quos ille
(erzaͤhlt Gregor) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos
aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens.
Nach der
Sitte der Zeit duͤrfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa
die Geſandten ſelbſt darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen
Umſtaͤnden aber konnten dieſe Circus nur hoͤlzerne Einfaͤnge ſeyn,
da ſogar die Roͤmer ſolche Gebaͤude nicht bloß des Schimpfes wil-
len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Koſten, den hier
die Umſtaͤnde ausſchließen, erbauten.
*) S. Gregor. Tur. ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches,
oder lib. VI. c. 35. und a. a. St.
**) Greg. Tur. lib. IV. c. 42. — Fuitque illo in tempore
pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani.

— Vergl. den Stoßſeufzer im folgenden Kapitel.
***) Wie die meiſten bey Montfaucon antt. de la mon.
françoise T. 1. p. 158. pl. XI.
und andere daſ., etwa mit Ausnahme
des halb zerſtoͤrten muſiviſchen Denkmals der Koͤnigin Fredegunde,
welches indeß ebenfalls zweifelhaft, woruͤber Lenoir, musée des
monum. français,
einzuſehen.
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[208/0226] den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un- mittelbar nach der Eroberung fuͤllen verraͤtheriſche, blutige Er- eigniſſe *) die fraͤnkiſche Geſchichte, oder Klagen der Geiſtlich- keit uͤber den Druck kriegeriſcher Gewalthaber **), aus welchen wir abnehmen koͤnnen, daß auch die roͤmiſche Bevoͤlkerung die hergebrachten Kuͤnſte nur hoͤchſt nothduͤrftig fortbetrieb; aus Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht uͤber das Maß der Unvollkommenheit damaliger Kunſtuͤbung belehren koͤnnen, da ſolche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder ſicher un- aͤcht ſind ***). Karl Martell, den wahren Stifter der fraͤnkiſchen Groͤße, beſchaͤftigten kriegeriſche Thaten; ſeinen Nachfolger Pipin um- faſſende Raͤnke der Staatskunſt, Befeſtigung der neuen Ge- walt; es mußte demnach Karl dem Großen vorbehalten ſeyn, die ***) *) S. Gregor. Tur. ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches, oder lib. VI. c. 35. und a. a. St. **) Greg. Tur. lib. IV. c. 42. — Fuitque illo in tempore pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani. — Vergl. den Stoßſeufzer im folgenden Kapitel. ***) Wie die meiſten bey Montfaucon antt. de la mon. françoise T. 1. p. 158. pl. XI. und andere daſ., etwa mit Ausnahme des halb zerſtoͤrten muſiviſchen Denkmals der Koͤnigin Fredegunde, welches indeß ebenfalls zweifelhaft, woruͤber Lenoir, musée des monum. français, einzuſehen. ***) von ſeines Neffen Childebert Erbtheil an ſich geriſſen. Quos ille (erzaͤhlt Gregor) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens. Nach der Sitte der Zeit duͤrfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa die Geſandten ſelbſt darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen Umſtaͤnden aber konnten dieſe Circus nur hoͤlzerne Einfaͤnge ſeyn, da ſogar die Roͤmer ſolche Gebaͤude nicht bloß des Schimpfes wil- len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Koſten, den hier die Umſtaͤnde ausſchließen, erbauten.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/226>, abgerufen am 26.11.2024.