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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Kunstwerken abhängig von Eigenthümlichkeiten des Gesichtes
der einzelnen Künstler, so mag es wohl möglich seyn, eben
diesen Sinn durch Beispiel und practische Anleitung um etwas
schneller zu entwickeln, doch schwerlich, ihn nach allgemeinen
Regeln zu leiten. Jede Schönheitslehre demnach, welche, gleich der
Aesthetik der holländisch-französischen Epoche, aus dem Sinn-
lich-Wohlgefälligen einzelner Werke der Kunst die Regel aller
Wohlgefälligkeit derselben Art zu entwickeln versucht, oder gar
sich vermißt, solche Einseitigkeiten, gleich als ergäben sie ein
allgemeines Schönheitsgesetz, der Kunst aufzudrängen, treibt
doch, mit dem mildesten Ausdruck, nur ein müßiges Spiel
des Witzes.

Allein schon ungleich umfassender und gleichmäßiger, als
diese, ist jene zweite Art der Schönheit, welche auf bestimm-
ten Verhältnissen von Formen und Linien beruht. Denn,
weil dieselbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim-
mung und Empfänglichkeit des einzelnen Daseyns abhängig
ist, vielmehr nach allgemeineren, die gesammte Natur beherr-
schenden, Gesetzen entsteht und wirkt; so wird sie auch gleich-
mäßiger begehrt und empfunden; so kann die Empfänglichkeit
für sie selbst da, wo sie etwa durch falsche Gewöhnungen,
oder durch Verstandesgrillen wäre verbildet worden, doch im-
mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken
geheilt werden. Wenn nun der Künstler in dieser Beziehung
einestheils eine weit verbreitete Empfänglichkeit vorfindet, an-
derntheils seinen etwa schlummernden oder abgelenkten Sinn
für Harmonie räumlicher Verhältnisse in sich selbst gleichsam
wieder aufwecken kann; so folgt, daß er auf alle Weise, so-
wohl fähig sey, als Bedacht nehmen müsse, seinen Werken
diese Schönheit beyzulegen.


Kunſtwerken abhaͤngig von Eigenthuͤmlichkeiten des Geſichtes
der einzelnen Kuͤnſtler, ſo mag es wohl moͤglich ſeyn, eben
dieſen Sinn durch Beiſpiel und practiſche Anleitung um etwas
ſchneller zu entwickeln, doch ſchwerlich, ihn nach allgemeinen
Regeln zu leiten. Jede Schoͤnheitslehre demnach, welche, gleich der
Aeſthetik der hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Epoche, aus dem Sinn-
lich-Wohlgefaͤlligen einzelner Werke der Kunſt die Regel aller
Wohlgefaͤlligkeit derſelben Art zu entwickeln verſucht, oder gar
ſich vermißt, ſolche Einſeitigkeiten, gleich als ergaͤben ſie ein
allgemeines Schoͤnheitsgeſetz, der Kunſt aufzudraͤngen, treibt
doch, mit dem mildeſten Ausdruck, nur ein muͤßiges Spiel
des Witzes.

Allein ſchon ungleich umfaſſender und gleichmaͤßiger, als
dieſe, iſt jene zweite Art der Schoͤnheit, welche auf beſtimm-
ten Verhaͤltniſſen von Formen und Linien beruht. Denn,
weil dieſelbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim-
mung und Empfaͤnglichkeit des einzelnen Daſeyns abhaͤngig
iſt, vielmehr nach allgemeineren, die geſammte Natur beherr-
ſchenden, Geſetzen entſteht und wirkt; ſo wird ſie auch gleich-
maͤßiger begehrt und empfunden; ſo kann die Empfaͤnglichkeit
fuͤr ſie ſelbſt da, wo ſie etwa durch falſche Gewoͤhnungen,
oder durch Verſtandesgrillen waͤre verbildet worden, doch im-
mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken
geheilt werden. Wenn nun der Kuͤnſtler in dieſer Beziehung
einestheils eine weit verbreitete Empfaͤnglichkeit vorfindet, an-
derntheils ſeinen etwa ſchlummernden oder abgelenkten Sinn
fuͤr Harmonie raͤumlicher Verhaͤltniſſe in ſich ſelbſt gleichſam
wieder aufwecken kann; ſo folgt, daß er auf alle Weiſe, ſo-
wohl faͤhig ſey, als Bedacht nehmen muͤſſe, ſeinen Werken
dieſe Schoͤnheit beyzulegen.


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[151/0169] Kunſtwerken abhaͤngig von Eigenthuͤmlichkeiten des Geſichtes der einzelnen Kuͤnſtler, ſo mag es wohl moͤglich ſeyn, eben dieſen Sinn durch Beiſpiel und practiſche Anleitung um etwas ſchneller zu entwickeln, doch ſchwerlich, ihn nach allgemeinen Regeln zu leiten. Jede Schoͤnheitslehre demnach, welche, gleich der Aeſthetik der hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Epoche, aus dem Sinn- lich-Wohlgefaͤlligen einzelner Werke der Kunſt die Regel aller Wohlgefaͤlligkeit derſelben Art zu entwickeln verſucht, oder gar ſich vermißt, ſolche Einſeitigkeiten, gleich als ergaͤben ſie ein allgemeines Schoͤnheitsgeſetz, der Kunſt aufzudraͤngen, treibt doch, mit dem mildeſten Ausdruck, nur ein muͤßiges Spiel des Witzes. Allein ſchon ungleich umfaſſender und gleichmaͤßiger, als dieſe, iſt jene zweite Art der Schoͤnheit, welche auf beſtimm- ten Verhaͤltniſſen von Formen und Linien beruht. Denn, weil dieſelbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim- mung und Empfaͤnglichkeit des einzelnen Daſeyns abhaͤngig iſt, vielmehr nach allgemeineren, die geſammte Natur beherr- ſchenden, Geſetzen entſteht und wirkt; ſo wird ſie auch gleich- maͤßiger begehrt und empfunden; ſo kann die Empfaͤnglichkeit fuͤr ſie ſelbſt da, wo ſie etwa durch falſche Gewoͤhnungen, oder durch Verſtandesgrillen waͤre verbildet worden, doch im- mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken geheilt werden. Wenn nun der Kuͤnſtler in dieſer Beziehung einestheils eine weit verbreitete Empfaͤnglichkeit vorfindet, an- derntheils ſeinen etwa ſchlummernden oder abgelenkten Sinn fuͤr Harmonie raͤumlicher Verhaͤltniſſe in ſich ſelbſt gleichſam wieder aufwecken kann; ſo folgt, daß er auf alle Weiſe, ſo- wohl faͤhig ſey, als Bedacht nehmen muͤſſe, ſeinen Werken dieſe Schoͤnheit beyzulegen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/169>, abgerufen am 01.05.2024.