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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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bezaubern, so daß wir durch dieses oft über ihren sittlichen
Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem
Mißverhältniß der Theile eines Gesichtes mit einiger Mühe uns
in solche Züge desselben hineindenken, in denen eine edle Seele,
oder ein thätiger Geist sich ausdrückt. Die Benennung,
Schönheit des Maßes, welche ich vorschlage, dürfte daher
freyer von Nebenbeziehungen und weit umfassender seyn, als
jene andere.

Diese zweyte Schönheit *), wie es scheint, die eigent-
liche Schönheit der Griechen **), ist übrigens nicht mehr, wie

*) Bey Ausbildung ihrer philosophischen Begriffe fand die la-
teinische Sprache in dem allgemeinen Vorbilde römischer Gesittung,
der griechischen Nation, die Kunst und den Kunstsinn schon völlig
durchgebildet vor. Daher, denke ich, die glückliche Ableitung und
daraus hervorgehende Schärfe der Begriffe, formosus, formositas,
welche obige Entwickelung merklich unterstützen.
**) Sie wünschten sie mit sittlichem Werthe verbunden zu
sehen, also war ihnen Schönheit an sich selbst etwas Anderes, als
der Ausdruck, oder als der Charakter sittlicher Güte. -- Auch die
Behauptung: daß dem Barbaren dasselbe schön seyn müsse, was
dem Griechen schön war (Winckelmann K. G. Bch. 4. K. 2.),
deutet auf die Schönheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß sinn-
liche Eindruck des Formenspieles, der Abwechslungen des Lichtes
und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen
Schönheit unterschieden (Winckelm. das. §. 19.), konnte schon
unter den Griechen selbst nicht ganz derselbe, mußte gewiß bey den
Barbaren ein ganz verschiedener seyn. Die Auffassung der sittlichen
Bedeutung der Formen setzt aber sittliche Bildung voraus, welche
eben ein griechischer Denker nicht so durchhin dem Barbaren dürfte
beygemessen haben. Nehmen wir aber diese beiden Schönheiten zu-
rück, so bleibt nur die Schönheit des Maßes übrig, welche, nach
neueren Beobachtungen, allerdings selbst auf den rohesten Barbaren
einzuwirken scheint (S. v. Spix und v. Martius Reise in Bra-
silien
. 1. Thl. München. 1823. 4. S. 259. und C. Ritter, Erdkunde,

bezaubern, ſo daß wir durch dieſes oft uͤber ihren ſittlichen
Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem
Mißverhaͤltniß der Theile eines Geſichtes mit einiger Muͤhe uns
in ſolche Zuͤge deſſelben hineindenken, in denen eine edle Seele,
oder ein thaͤtiger Geiſt ſich ausdruͤckt. Die Benennung,
Schoͤnheit des Maßes, welche ich vorſchlage, duͤrfte daher
freyer von Nebenbeziehungen und weit umfaſſender ſeyn, als
jene andere.

Dieſe zweyte Schoͤnheit *), wie es ſcheint, die eigent-
liche Schoͤnheit der Griechen **), iſt uͤbrigens nicht mehr, wie

*) Bey Ausbildung ihrer philoſophiſchen Begriffe fand die la-
teiniſche Sprache in dem allgemeinen Vorbilde roͤmiſcher Geſittung,
der griechiſchen Nation, die Kunſt und den Kunſtſinn ſchon voͤllig
durchgebildet vor. Daher, denke ich, die gluͤckliche Ableitung und
daraus hervorgehende Schaͤrfe der Begriffe, formosus, formositas,
welche obige Entwickelung merklich unterſtuͤtzen.
**) Sie wuͤnſchten ſie mit ſittlichem Werthe verbunden zu
ſehen, alſo war ihnen Schoͤnheit an ſich ſelbſt etwas Anderes, als
der Ausdruck, oder als der Charakter ſittlicher Guͤte. — Auch die
Behauptung: daß dem Barbaren daſſelbe ſchoͤn ſeyn muͤſſe, was
dem Griechen ſchoͤn war (Winckelmann K. G. Bch. 4. K. 2.),
deutet auf die Schoͤnheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß ſinn-
liche Eindruck des Formenſpieles, der Abwechslungen des Lichtes
und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen
Schoͤnheit unterſchieden (Winckelm. daſ. §. 19.), konnte ſchon
unter den Griechen ſelbſt nicht ganz derſelbe, mußte gewiß bey den
Barbaren ein ganz verſchiedener ſeyn. Die Auffaſſung der ſittlichen
Bedeutung der Formen ſetzt aber ſittliche Bildung voraus, welche
eben ein griechiſcher Denker nicht ſo durchhin dem Barbaren duͤrfte
beygemeſſen haben. Nehmen wir aber dieſe beiden Schoͤnheiten zu-
ruͤck, ſo bleibt nur die Schoͤnheit des Maßes uͤbrig, welche, nach
neueren Beobachtungen, allerdings ſelbſt auf den roheſten Barbaren
einzuwirken ſcheint (S. v. Spix und v. Martius Reiſe in Bra-
ſilien
. 1. Thl. Muͤnchen. 1823. 4. S. 259. und C. Ritter, Erdkunde,
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[142/0160] bezaubern, ſo daß wir durch dieſes oft uͤber ihren ſittlichen Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem Mißverhaͤltniß der Theile eines Geſichtes mit einiger Muͤhe uns in ſolche Zuͤge deſſelben hineindenken, in denen eine edle Seele, oder ein thaͤtiger Geiſt ſich ausdruͤckt. Die Benennung, Schoͤnheit des Maßes, welche ich vorſchlage, duͤrfte daher freyer von Nebenbeziehungen und weit umfaſſender ſeyn, als jene andere. Dieſe zweyte Schoͤnheit *), wie es ſcheint, die eigent- liche Schoͤnheit der Griechen **), iſt uͤbrigens nicht mehr, wie *) Bey Ausbildung ihrer philoſophiſchen Begriffe fand die la- teiniſche Sprache in dem allgemeinen Vorbilde roͤmiſcher Geſittung, der griechiſchen Nation, die Kunſt und den Kunſtſinn ſchon voͤllig durchgebildet vor. Daher, denke ich, die gluͤckliche Ableitung und daraus hervorgehende Schaͤrfe der Begriffe, formosus, formositas, welche obige Entwickelung merklich unterſtuͤtzen. **) Sie wuͤnſchten ſie mit ſittlichem Werthe verbunden zu ſehen, alſo war ihnen Schoͤnheit an ſich ſelbſt etwas Anderes, als der Ausdruck, oder als der Charakter ſittlicher Guͤte. — Auch die Behauptung: daß dem Barbaren daſſelbe ſchoͤn ſeyn muͤſſe, was dem Griechen ſchoͤn war (Winckelmann K. G. Bch. 4. K. 2.), deutet auf die Schoͤnheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß ſinn- liche Eindruck des Formenſpieles, der Abwechslungen des Lichtes und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen Schoͤnheit unterſchieden (Winckelm. daſ. §. 19.), konnte ſchon unter den Griechen ſelbſt nicht ganz derſelbe, mußte gewiß bey den Barbaren ein ganz verſchiedener ſeyn. Die Auffaſſung der ſittlichen Bedeutung der Formen ſetzt aber ſittliche Bildung voraus, welche eben ein griechiſcher Denker nicht ſo durchhin dem Barbaren duͤrfte beygemeſſen haben. Nehmen wir aber dieſe beiden Schoͤnheiten zu- ruͤck, ſo bleibt nur die Schoͤnheit des Maßes uͤbrig, welche, nach neueren Beobachtungen, allerdings ſelbſt auf den roheſten Barbaren einzuwirken ſcheint (S. v. Spix und v. Martius Reiſe in Bra- ſilien. 1. Thl. Muͤnchen. 1823. 4. S. 259. und C. Ritter, Erdkunde,

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/160>, abgerufen am 01.05.2024.