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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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ein solches haben sie unstreitig der glorwürdigen Kunstepoche,
aus welcher Raphael hervorgegangen, wesentlich genützt *).
Allein, daß man damals schon gestrebt, in ihre Aeußerlichkei-
ten, in ihre Formen sich hineinzugießen, ist eine historische Lüge,
welche man sich am Ende selbst geglaubt. Die Schule Ra-
phaels
hat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be-
kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al-
terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet übertragen.
Doch von jenen Nachäffungen des Habituellen und Aeußerli-
chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit so vie-
lem Eifer, als geringem Erfolge **) betrieben worden, findet
sich unter tausenden von Studien und Handzeichnungen der
raphaelischen Zeit auch nicht die geringste Spur. Raphael
verschmähte sogar in der Schule von Athen die Statuen in
den Vertiefungen der Wände zu antikisiren, was hier vielleicht
aus einem malerischen Stylgefühle geschehn, auf dessen Grund
ich oben hingedeutet. In der That müßte[...] seine Nachahmung

*) Und schon ungleich früher vornehmlich auf die Italiener
eingewirkt. S. Petrarcae ep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus-
gaben) und Ghiberti a. a. O.
**) "Aber, sagen die Herausg. Winckelmanns (Thl. IV.
Anm. 477.), wenn einst die in den letzten funfzig bis sechzig Jah-
ren entstandenen Kunstwerke aller Art unpartheyisch betrachtet und
mit den früheren verglichen werden; wird man alsdann unserer
Zeit gegen jene (von Maratti bis auf Winkelmann) auch
den Vorzug geist- und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darstel-
lungen, mehrerer Eigenthümlichkeit und im ganzen herrschender
Harmonie zugestehn? es ist viel zu fürchten." -- Demnach dürfte
nach diesen Zweifeln eifriger Begünstiger der Nachahmung antiker
Statuen das Ergebniß dieser Nachahmung nicht einmal den Ver-
gleich mit der verwerflichsten Epoche moderner Kunst ertragen
können.

ein ſolches haben ſie unſtreitig der glorwuͤrdigen Kunſtepoche,
aus welcher Raphael hervorgegangen, weſentlich genuͤtzt *).
Allein, daß man damals ſchon geſtrebt, in ihre Aeußerlichkei-
ten, in ihre Formen ſich hineinzugießen, iſt eine hiſtoriſche Luͤge,
welche man ſich am Ende ſelbſt geglaubt. Die Schule Ra-
phaels
hat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be-
kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al-
terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet uͤbertragen.
Doch von jenen Nachaͤffungen des Habituellen und Aeußerli-
chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit ſo vie-
lem Eifer, als geringem Erfolge **) betrieben worden, findet
ſich unter tauſenden von Studien und Handzeichnungen der
raphaeliſchen Zeit auch nicht die geringſte Spur. Raphael
verſchmaͤhte ſogar in der Schule von Athen die Statuen in
den Vertiefungen der Waͤnde zu antikiſiren, was hier vielleicht
aus einem maleriſchen Stylgefuͤhle geſchehn, auf deſſen Grund
ich oben hingedeutet. In der That muͤßte[…] ſeine Nachahmung

*) Und ſchon ungleich fruͤher vornehmlich auf die Italiener
eingewirkt. S. Petrarcae ep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus-
gaben) und Ghiberti a. a. O.
**) „Aber, ſagen die Herausg. Winckelmanns (Thl. IV.
Anm. 477.), wenn einſt die in den letzten funfzig bis ſechzig Jah-
ren entſtandenen Kunſtwerke aller Art unpartheyiſch betrachtet und
mit den fruͤheren verglichen werden; wird man alsdann unſerer
Zeit gegen jene (von Maratti bis auf Winkelmann) auch
den Vorzug geiſt- und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darſtel-
lungen, mehrerer Eigenthuͤmlichkeit und im ganzen herrſchender
Harmonie zugeſtehn? es iſt viel zu fuͤrchten.“ — Demnach duͤrfte
nach dieſen Zweifeln eifriger Beguͤnſtiger der Nachahmung antiker
Statuen das Ergebniß dieſer Nachahmung nicht einmal den Ver-
gleich mit der verwerflichſten Epoche moderner Kunſt ertragen
koͤnnen.
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[117/0135] ein ſolches haben ſie unſtreitig der glorwuͤrdigen Kunſtepoche, aus welcher Raphael hervorgegangen, weſentlich genuͤtzt *). Allein, daß man damals ſchon geſtrebt, in ihre Aeußerlichkei- ten, in ihre Formen ſich hineinzugießen, iſt eine hiſtoriſche Luͤge, welche man ſich am Ende ſelbſt geglaubt. Die Schule Ra- phaels hat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be- kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al- terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet uͤbertragen. Doch von jenen Nachaͤffungen des Habituellen und Aeußerli- chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit ſo vie- lem Eifer, als geringem Erfolge **) betrieben worden, findet ſich unter tauſenden von Studien und Handzeichnungen der raphaeliſchen Zeit auch nicht die geringſte Spur. Raphael verſchmaͤhte ſogar in der Schule von Athen die Statuen in den Vertiefungen der Waͤnde zu antikiſiren, was hier vielleicht aus einem maleriſchen Stylgefuͤhle geſchehn, auf deſſen Grund ich oben hingedeutet. In der That muͤßte ſeine Nachahmung *) Und ſchon ungleich fruͤher vornehmlich auf die Italiener eingewirkt. S. Petrarcae ep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus- gaben) und Ghiberti a. a. O. **) „Aber, ſagen die Herausg. Winckelmanns (Thl. IV. Anm. 477.), wenn einſt die in den letzten funfzig bis ſechzig Jah- ren entſtandenen Kunſtwerke aller Art unpartheyiſch betrachtet und mit den fruͤheren verglichen werden; wird man alsdann unſerer Zeit gegen jene (von Maratti bis auf Winkelmann) auch den Vorzug geiſt- und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darſtel- lungen, mehrerer Eigenthuͤmlichkeit und im ganzen herrſchender Harmonie zugeſtehn? es iſt viel zu fuͤrchten.“ — Demnach duͤrfte nach dieſen Zweifeln eifriger Beguͤnſtiger der Nachahmung antiker Statuen das Ergebniß dieſer Nachahmung nicht einmal den Ver- gleich mit der verwerflichſten Epoche moderner Kunſt ertragen koͤnnen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/135>, abgerufen am 06.05.2024.