Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

noch ungleich näher steht *), als die mit Michelangelo
beginnende moderne.

Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben
nur, weil der derbe Stoff dessen bequeme, oder annehmliche
Darstellung versagt. So deuteten sie viele Beywerke mit ab-
sichtlicher Rohheit an; denn da Bäume und andere landschaft-
liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht scheinbar zu
machen, so wollten sie lieber laut verkünden, daß sie solches
durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem
sie nimmer genügen konnten. Oder sie milderten häutige und
andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberfläche der
Gestalten erscheinen, oder unterdrückten sie durchaus, wenn
sie etwa die Darstellung vorkommender Kunstaufgaben nicht
wesentlich förderten **). Wenn nun Winckelmann in sol-
chen Zartheiten des antiken Bildnerstyles, welche der Wirkung
nach seinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Bestäti-
gung jenes freylich schon mannichfach bedingten Vorbegriffes
der Manieristen zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, so aus
richtig verstandenen Beschränktheiten des derben Kunststoffes
hervorging, aus den inneren Foderungen der dargestellten Ideen
erklärte, so werden wir nunmehr darüber hinaussehen dürfen.


*) Ueber dem Haupteingange der größeren Kirche zu Saalfeld
am Thüringer Walde sah ich vor langer Zeit ein jüngstes Gericht
in basso rilievo, dessen bildnerischer Styl vortrefflich ist.
**) Die Widrigkeit der Erscheinung weicher, schlaffer, halb-
durchsichtiger Theile der menschlichen Gestalt in ihrer Uebertragung
in dichte, starre, undurchsichtige Körper zeigt sich besonders deut-
lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie
schön auch die Gestalt sey, welcher sie durch mechanische Mittel
abgewonnen, doch eben durch diesen Widerspruch von Form und
Stoff nothwendig leichenähnlich und grauenhaft aussehen.

noch ungleich naͤher ſteht *), als die mit Michelangelo
beginnende moderne.

Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben
nur, weil der derbe Stoff deſſen bequeme, oder annehmliche
Darſtellung verſagt. So deuteten ſie viele Beywerke mit ab-
ſichtlicher Rohheit an; denn da Baͤume und andere landſchaft-
liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht ſcheinbar zu
machen, ſo wollten ſie lieber laut verkuͤnden, daß ſie ſolches
durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem
ſie nimmer genuͤgen konnten. Oder ſie milderten haͤutige und
andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberflaͤche der
Geſtalten erſcheinen, oder unterdruͤckten ſie durchaus, wenn
ſie etwa die Darſtellung vorkommender Kunſtaufgaben nicht
weſentlich foͤrderten **). Wenn nun Winckelmann in ſol-
chen Zartheiten des antiken Bildnerſtyles, welche der Wirkung
nach ſeinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Beſtaͤti-
gung jenes freylich ſchon mannichfach bedingten Vorbegriffes
der Manieriſten zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, ſo aus
richtig verſtandenen Beſchraͤnktheiten des derben Kunſtſtoffes
hervorging, aus den inneren Foderungen der dargeſtellten Ideen
erklaͤrte, ſo werden wir nunmehr daruͤber hinausſehen duͤrfen.


*) Ueber dem Haupteingange der groͤßeren Kirche zu Saalfeld
am Thuͤringer Walde ſah ich vor langer Zeit ein juͤngſtes Gericht
in basso rilievo, deſſen bildneriſcher Styl vortrefflich iſt.
**) Die Widrigkeit der Erſcheinung weicher, ſchlaffer, halb-
durchſichtiger Theile der menſchlichen Geſtalt in ihrer Uebertragung
in dichte, ſtarre, undurchſichtige Koͤrper zeigt ſich beſonders deut-
lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie
ſchoͤn auch die Geſtalt ſey, welcher ſie durch mechaniſche Mittel
abgewonnen, doch eben durch dieſen Widerſpruch von Form und
Stoff nothwendig leichenaͤhnlich und grauenhaft ausſehen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0112" n="94"/>
noch ungleich na&#x0364;her &#x017F;teht <note place="foot" n="*)">Ueber dem Haupteingange der gro&#x0364;ßeren Kirche zu <placeName>Saalfeld</placeName><lb/>
am <placeName>Thu&#x0364;ringer Walde</placeName> &#x017F;ah ich vor langer Zeit ein ju&#x0364;ng&#x017F;tes Gericht<lb/>
in <hi rendition="#aq">basso rilievo</hi>, de&#x017F;&#x017F;en bildneri&#x017F;cher Styl vortrefflich i&#x017F;t.</note>, als die mit <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo</persName></hi><lb/>
beginnende moderne.</p><lb/>
          <p>Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben<lb/>
nur, weil der derbe Stoff de&#x017F;&#x017F;en bequeme, oder annehmliche<lb/>
Dar&#x017F;tellung ver&#x017F;agt. So deuteten &#x017F;ie viele Beywerke mit ab-<lb/>
&#x017F;ichtlicher Rohheit an; denn da Ba&#x0364;ume und andere land&#x017F;chaft-<lb/>
liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht &#x017F;cheinbar zu<lb/>
machen, &#x017F;o wollten &#x017F;ie lieber laut verku&#x0364;nden, daß &#x017F;ie &#x017F;olches<lb/>
durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem<lb/>
&#x017F;ie nimmer genu&#x0364;gen konnten. Oder &#x017F;ie milderten ha&#x0364;utige und<lb/>
andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberfla&#x0364;che der<lb/>
Ge&#x017F;talten er&#x017F;cheinen, oder unterdru&#x0364;ckten &#x017F;ie durchaus, wenn<lb/>
&#x017F;ie etwa die Dar&#x017F;tellung vorkommender Kun&#x017F;taufgaben nicht<lb/>
we&#x017F;entlich fo&#x0364;rderten <note place="foot" n="**)">Die Widrigkeit der Er&#x017F;cheinung weicher, &#x017F;chlaffer, halb-<lb/>
durch&#x017F;ichtiger Theile der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;talt in ihrer Uebertragung<lb/>
in dichte, &#x017F;tarre, undurch&#x017F;ichtige Ko&#x0364;rper zeigt &#x017F;ich be&#x017F;onders deut-<lb/>
lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n auch die Ge&#x017F;talt &#x017F;ey, welcher &#x017F;ie durch mechani&#x017F;che Mittel<lb/>
abgewonnen, doch eben durch die&#x017F;en Wider&#x017F;pruch von Form und<lb/>
Stoff nothwendig leichena&#x0364;hnlich und grauenhaft aus&#x017F;ehen.</note>. Wenn nun <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118633600">Winckelmann</persName></hi> in &#x017F;ol-<lb/>
chen Zartheiten des antiken Bildner&#x017F;tyles, welche der Wirkung<lb/>
nach &#x017F;einem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Be&#x017F;ta&#x0364;ti-<lb/>
gung jenes freylich &#x017F;chon mannichfach bedingten Vorbegriffes<lb/>
der Manieri&#x017F;ten zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, &#x017F;o aus<lb/>
richtig ver&#x017F;tandenen Be&#x017F;chra&#x0364;nktheiten des derben Kun&#x017F;t&#x017F;toffes<lb/>
hervorging, aus den inneren Foderungen der darge&#x017F;tellten Ideen<lb/>
erkla&#x0364;rte, &#x017F;o werden wir nunmehr daru&#x0364;ber hinaus&#x017F;ehen du&#x0364;rfen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0112] noch ungleich naͤher ſteht *), als die mit Michelangelo beginnende moderne. Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben nur, weil der derbe Stoff deſſen bequeme, oder annehmliche Darſtellung verſagt. So deuteten ſie viele Beywerke mit ab- ſichtlicher Rohheit an; denn da Baͤume und andere landſchaft- liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht ſcheinbar zu machen, ſo wollten ſie lieber laut verkuͤnden, daß ſie ſolches durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem ſie nimmer genuͤgen konnten. Oder ſie milderten haͤutige und andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberflaͤche der Geſtalten erſcheinen, oder unterdruͤckten ſie durchaus, wenn ſie etwa die Darſtellung vorkommender Kunſtaufgaben nicht weſentlich foͤrderten **). Wenn nun Winckelmann in ſol- chen Zartheiten des antiken Bildnerſtyles, welche der Wirkung nach ſeinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Beſtaͤti- gung jenes freylich ſchon mannichfach bedingten Vorbegriffes der Manieriſten zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, ſo aus richtig verſtandenen Beſchraͤnktheiten des derben Kunſtſtoffes hervorging, aus den inneren Foderungen der dargeſtellten Ideen erklaͤrte, ſo werden wir nunmehr daruͤber hinausſehen duͤrfen. *) Ueber dem Haupteingange der groͤßeren Kirche zu Saalfeld am Thuͤringer Walde ſah ich vor langer Zeit ein juͤngſtes Gericht in basso rilievo, deſſen bildneriſcher Styl vortrefflich iſt. **) Die Widrigkeit der Erſcheinung weicher, ſchlaffer, halb- durchſichtiger Theile der menſchlichen Geſtalt in ihrer Uebertragung in dichte, ſtarre, undurchſichtige Koͤrper zeigt ſich beſonders deut- lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie ſchoͤn auch die Geſtalt ſey, welcher ſie durch mechaniſche Mittel abgewonnen, doch eben durch dieſen Widerſpruch von Form und Stoff nothwendig leichenaͤhnlich und grauenhaft ausſehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/112
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/112>, abgerufen am 06.05.2024.