Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.23. Aus Felsen springt der Quell, und Freiheit will ihm ahnen, Das Schicksal reißt ihn schnell auf ungewählte Bahnen. Er möchte dort hinab, doch er muß da hinunter; Er schlingt und schlängelt sich, und spielt mit Kieseln munter. Er sammelt sich zum See, doch seine Lust ist kurz; Er muß aus weichem Bett zum jähen Wassersturz. Da meint er zu versprühn, doch kurz ist auch die Qual; Er schnaufet aus, und fließt ein stiller Fluß im Thal. O Wandersmann am Quell, so wechselt Leid und Glück; Das Leben rinnet schnell, und kehret nie zurück. 24. Die Zeit ist kurz, wenn voll; die Zeit, wenn leer, ist lang. Was macht sie leer und voll? deiner Gedanken Gang. Wenn viel du siehst und hörst, was viel dich denken macht, So ist die Stund' entflohn rascher als du gedacht. 23. Aus Felſen ſpringt der Quell, und Freiheit will ihm ahnen, Das Schickſal reißt ihn ſchnell auf ungewaͤhlte Bahnen. Er moͤchte dort hinab, doch er muß da hinunter; Er ſchlingt und ſchlaͤngelt ſich, und ſpielt mit Kieſeln munter. Er ſammelt ſich zum See, doch ſeine Luſt iſt kurz; Er muß aus weichem Bett zum jaͤhen Waſſerſturz. Da meint er zu verſpruͤhn, doch kurz iſt auch die Qual; Er ſchnaufet aus, und fließt ein ſtiller Fluß im Thal. O Wandersmann am Quell, ſo wechſelt Leid und Gluͤck; Das Leben rinnet ſchnell, und kehret nie zuruͤck. 24. Die Zeit iſt kurz, wenn voll; die Zeit, wenn leer, iſt lang. Was macht ſie leer und voll? deiner Gedanken Gang. Wenn viel du ſiehſt und hoͤrſt, was viel dich denken macht, So iſt die Stund' entflohn raſcher als du gedacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0333" n="323"/> <div n="2"> <head>23.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Aus Felſen ſpringt der Quell, und Freiheit will ihm ahnen,</l><lb/> <l>Das Schickſal reißt ihn ſchnell auf ungewaͤhlte Bahnen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Er moͤchte dort hinab, doch er muß da hinunter;</l><lb/> <l>Er ſchlingt und ſchlaͤngelt ſich, und ſpielt mit Kieſeln munter.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Er ſammelt ſich zum See, doch ſeine Luſt iſt kurz;</l><lb/> <l>Er muß aus weichem Bett zum jaͤhen Waſſerſturz.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Da meint er zu verſpruͤhn, doch kurz iſt auch die Qual;</l><lb/> <l>Er ſchnaufet aus, und fließt ein ſtiller Fluß im Thal.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O Wandersmann am Quell, ſo wechſelt Leid und Gluͤck;</l><lb/> <l>Das Leben rinnet ſchnell, und kehret nie zuruͤck.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>24.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Zeit iſt kurz, wenn voll; die Zeit, wenn leer, iſt lang.</l><lb/> <l>Was macht ſie leer und voll? deiner Gedanken Gang.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wenn viel du ſiehſt und hoͤrſt, was viel dich denken macht,</l><lb/> <l>So iſt die Stund' entflohn raſcher als du gedacht.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [323/0333]
23.
Aus Felſen ſpringt der Quell, und Freiheit will ihm ahnen,
Das Schickſal reißt ihn ſchnell auf ungewaͤhlte Bahnen.
Er moͤchte dort hinab, doch er muß da hinunter;
Er ſchlingt und ſchlaͤngelt ſich, und ſpielt mit Kieſeln munter.
Er ſammelt ſich zum See, doch ſeine Luſt iſt kurz;
Er muß aus weichem Bett zum jaͤhen Waſſerſturz.
Da meint er zu verſpruͤhn, doch kurz iſt auch die Qual;
Er ſchnaufet aus, und fließt ein ſtiller Fluß im Thal.
O Wandersmann am Quell, ſo wechſelt Leid und Gluͤck;
Das Leben rinnet ſchnell, und kehret nie zuruͤck.
24.
Die Zeit iſt kurz, wenn voll; die Zeit, wenn leer, iſt lang.
Was macht ſie leer und voll? deiner Gedanken Gang.
Wenn viel du ſiehſt und hoͤrſt, was viel dich denken macht,
So iſt die Stund' entflohn raſcher als du gedacht.
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