Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.142. Ein Bilderbüchelchen hat heut mich unterhalten Voll doppelgültiger zweideutiger Gestalten. Ein Bild, grad' angesehn, glich einem schönen Schatze, Dann auf den Kopf gestellt, ward es zu einer Fratze. Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward, Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart. Hier schien ein Eselskopf, was dort ein Weiser schien; Und so war jedem Schein sein Gegenschein verliehn. Ich dachte: Wem's gefällt, der kann die ganze Welt Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf gestellt. Wie manches ist darin zu schelten und zu loben, Jenach man es beschaut von unten oder oben. 142. Ein Bilderbuͤchelchen hat heut mich unterhalten Voll doppelguͤltiger zweideutiger Geſtalten. Ein Bild, grad' angeſehn, glich einem ſchoͤnen Schatze, Dann auf den Kopf geſtellt, ward es zu einer Fratze. Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward, Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart. Hier ſchien ein Eſelskopf, was dort ein Weiſer ſchien; Und ſo war jedem Schein ſein Gegenſchein verliehn. Ich dachte: Wem's gefaͤllt, der kann die ganze Welt Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf geſtellt. Wie manches iſt darin zu ſchelten und zu loben, Jenach man es beſchaut von unten oder oben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0240" n="230"/> <div n="2"> <head>142.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ein Bilderbuͤchelchen hat heut mich unterhalten</l><lb/> <l>Voll doppelguͤltiger zweideutiger Geſtalten.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein Bild, grad' angeſehn, glich einem ſchoͤnen Schatze,</l><lb/> <l>Dann auf den Kopf geſtellt, ward es zu einer Fratze.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward,</l><lb/> <l>Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Hier ſchien ein Eſelskopf, was dort ein Weiſer ſchien;</l><lb/> <l>Und ſo war jedem Schein ſein Gegenſchein verliehn.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Ich dachte: Wem's gefaͤllt, der kann die ganze Welt</l><lb/> <l>Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf geſtellt.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wie manches iſt darin zu ſchelten und zu loben,</l><lb/> <l>Jenach man es beſchaut von unten oder oben.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [230/0240]
142.
Ein Bilderbuͤchelchen hat heut mich unterhalten
Voll doppelguͤltiger zweideutiger Geſtalten.
Ein Bild, grad' angeſehn, glich einem ſchoͤnen Schatze,
Dann auf den Kopf geſtellt, ward es zu einer Fratze.
Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward,
Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart.
Hier ſchien ein Eſelskopf, was dort ein Weiſer ſchien;
Und ſo war jedem Schein ſein Gegenſchein verliehn.
Ich dachte: Wem's gefaͤllt, der kann die ganze Welt
Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf geſtellt.
Wie manches iſt darin zu ſchelten und zu loben,
Jenach man es beſchaut von unten oder oben.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/240>, abgerufen am 25.07.2024. |