Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.Vor allem, liebes Kind, willst du dich filosofisch Vernehmen lassen, sei's nur strenggereimt und strofisch. Sonst reißt der Riesengeist dort der Filosofie Ins Schrankenlose gleich dich, arme Poesie. Meintwegen hüpfe selbst in Chori-Choliamben, Nur flieh wie deinen Tod die ungereimten Jamben. Den Göttern ein Verdruß, den Menschen kein Genuß, Ist solch ein uferlos ergoßner Wörterfluß. Anmuthig werden selbst alltägliche Sentenzen Im Silbenwasserfall melodischer Kadenzen. 56. Wer in sich trägt bewußt des Wissens höchste Sfären Darf, was er nicht versteht, für Unverstand erklären. Was euch für Tiefsinn gilt, weil keinen Grund ihr seht, Ist Untief' über die des Unsinns Springflut geht. Vor allem, liebes Kind, willſt du dich filoſofiſch Vernehmen laſſen, ſei's nur ſtrenggereimt und ſtrofiſch. Sonſt reißt der Rieſengeiſt dort der Filoſofie Ins Schrankenloſe gleich dich, arme Poeſie. Meintwegen huͤpfe ſelbſt in Chori-Choliamben, Nur flieh wie deinen Tod die ungereimten Jamben. Den Goͤttern ein Verdruß, den Menſchen kein Genuß, Iſt ſolch ein uferlos ergoßner Woͤrterfluß. Anmuthig werden ſelbſt alltaͤgliche Sentenzen Im Silbenwaſſerfall melodiſcher Kadenzen. 56. Wer in ſich traͤgt bewußt des Wiſſens hoͤchſte Sfaͤren Darf, was er nicht verſteht, fuͤr Unverſtand erklaͤren. Was euch fuͤr Tiefſinn gilt, weil keinen Grund ihr ſeht, Iſt Untief' uͤber die des Unſinns Springflut geht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0058" n="48"/> <lg n="14"> <l>Vor allem, liebes Kind, willſt du dich filoſofiſch</l><lb/> <l>Vernehmen laſſen, ſei's nur ſtrenggereimt und ſtrofiſch.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Sonſt reißt der Rieſengeiſt dort der Filoſofie</l><lb/> <l>Ins Schrankenloſe gleich dich, arme Poeſie.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Meintwegen huͤpfe ſelbſt in Chori-Choliamben,</l><lb/> <l>Nur flieh wie deinen Tod die ungereimten Jamben.</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Den Goͤttern ein Verdruß, den Menſchen kein Genuß,</l><lb/> <l>Iſt ſolch ein uferlos ergoßner Woͤrterfluß.</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>Anmuthig werden ſelbſt alltaͤgliche Sentenzen</l><lb/> <l>Im Silbenwaſſerfall melodiſcher Kadenzen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>56.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wer in ſich traͤgt bewußt des Wiſſens hoͤchſte Sfaͤren</l><lb/> <l>Darf, was er nicht verſteht, fuͤr Unverſtand erklaͤren.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Was euch fuͤr Tiefſinn gilt, weil keinen Grund ihr ſeht,</l><lb/> <l>Iſt Untief' uͤber die des Unſinns Springflut geht.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [48/0058]
Vor allem, liebes Kind, willſt du dich filoſofiſch
Vernehmen laſſen, ſei's nur ſtrenggereimt und ſtrofiſch.
Sonſt reißt der Rieſengeiſt dort der Filoſofie
Ins Schrankenloſe gleich dich, arme Poeſie.
Meintwegen huͤpfe ſelbſt in Chori-Choliamben,
Nur flieh wie deinen Tod die ungereimten Jamben.
Den Goͤttern ein Verdruß, den Menſchen kein Genuß,
Iſt ſolch ein uferlos ergoßner Woͤrterfluß.
Anmuthig werden ſelbſt alltaͤgliche Sentenzen
Im Silbenwaſſerfall melodiſcher Kadenzen.
56.
Wer in ſich traͤgt bewußt des Wiſſens hoͤchſte Sfaͤren
Darf, was er nicht verſteht, fuͤr Unverſtand erklaͤren.
Was euch fuͤr Tiefſinn gilt, weil keinen Grund ihr ſeht,
Iſt Untief' uͤber die des Unſinns Springflut geht.
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