Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
42.
Wer ist ganz ein Tyrann? Nicht, wer hat unterjocht
Ein freies Volk mit Macht; er that was er vermocht.
Nicht, wer sich selber sagt: Weil es die Freiheit liebt,
Muß es mich hassen; doch ihm nicht die Freiheit gibt;
Er hofft, daß ein Verein von Streng' und Mild' erringe
Das Ziel zuletzt, daß aus Gewohnheit Lieb' entspringe.
Wer aber, wenn sich ihm der Nacken sklavisch beugt,
Und Unterwürfigkeit ihm Hand und Mund bezeugt,
Zu sagen wagt: Ich weiß, daß euch die Liebe fehle
Zu mir, und diese Lieb' ists die ich euch befehle;
Der ist ganz ein Tyrann, der nicht Gehorsam still
Sich läßt genügen, und befehlen Liebe will.

42.
Wer iſt ganz ein Tyrann? Nicht, wer hat unterjocht
Ein freies Volk mit Macht; er that was er vermocht.
Nicht, wer ſich ſelber ſagt: Weil es die Freiheit liebt,
Muß es mich haſſen; doch ihm nicht die Freiheit gibt;
Er hofft, daß ein Verein von Streng' und Mild' erringe
Das Ziel zuletzt, daß aus Gewohnheit Lieb' entſpringe.
Wer aber, wenn ſich ihm der Nacken ſklaviſch beugt,
Und Unterwuͤrfigkeit ihm Hand und Mund bezeugt,
Zu ſagen wagt: Ich weiß, daß euch die Liebe fehle
Zu mir, und dieſe Lieb' iſts die ich euch befehle;
Der iſt ganz ein Tyrann, der nicht Gehorſam ſtill
Sich laͤßt genuͤgen, und befehlen Liebe will.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0260" n="250"/>
        <div n="2">
          <head>42.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Wer i&#x017F;t ganz ein Tyrann? Nicht, wer hat unterjocht</l><lb/>
              <l>Ein freies Volk mit Macht; er that was er vermocht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Nicht, wer &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;agt: Weil es die Freiheit liebt,</l><lb/>
              <l>Muß es mich ha&#x017F;&#x017F;en; doch ihm nicht die Freiheit gibt;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Er hofft, daß ein Verein von Streng' und Mild' erringe</l><lb/>
              <l>Das Ziel zuletzt, daß aus Gewohnheit Lieb' ent&#x017F;pringe.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Wer aber, wenn &#x017F;ich ihm der Nacken &#x017F;klavi&#x017F;ch beugt,</l><lb/>
              <l>Und Unterwu&#x0364;rfigkeit ihm Hand und Mund bezeugt,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Zu &#x017F;agen wagt: Ich weiß, daß euch die Liebe fehle</l><lb/>
              <l>Zu mir, und die&#x017F;e Lieb' i&#x017F;ts die ich euch befehle;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Der i&#x017F;t ganz ein Tyrann, der nicht Gehor&#x017F;am &#x017F;till</l><lb/>
              <l>Sich la&#x0364;ßt genu&#x0364;gen, und befehlen Liebe will.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0260] 42. Wer iſt ganz ein Tyrann? Nicht, wer hat unterjocht Ein freies Volk mit Macht; er that was er vermocht. Nicht, wer ſich ſelber ſagt: Weil es die Freiheit liebt, Muß es mich haſſen; doch ihm nicht die Freiheit gibt; Er hofft, daß ein Verein von Streng' und Mild' erringe Das Ziel zuletzt, daß aus Gewohnheit Lieb' entſpringe. Wer aber, wenn ſich ihm der Nacken ſklaviſch beugt, Und Unterwuͤrfigkeit ihm Hand und Mund bezeugt, Zu ſagen wagt: Ich weiß, daß euch die Liebe fehle Zu mir, und dieſe Lieb' iſts die ich euch befehle; Der iſt ganz ein Tyrann, der nicht Gehorſam ſtill Sich laͤßt genuͤgen, und befehlen Liebe will.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/260
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/260>, abgerufen am 23.11.2024.