Freue Dich Deiner Tochter, Emma, bei ihr sind weiche Milde und Kraft zum Dulden, wie zum Duldensehen, glücklich vereinigt. Sie erinnerte mich oft an ein liebes sechzehnjähriges Mädchen, für dessen Bildung ich einst sorgte. Oft mußt' ich den Kindern von ihr erzählen, wie sie sieben Wo- chen hindurch nicht von dem Bette der geliebten Gespielin wegzubringen war, die an den heftig- sten Krämpfen litt. Alle andern jungen Gespie- linnen wurden aus Vorsicht von diesem Kranken- bett entfernt, weil auf schwache Naturen nichts verderblicher wirkt, als der Anblick von heftigen Krämpfen.
Magdalis allein war aus dem Krankenzimmer durch keine Vorstellung und durch keine Bitte, ihrer selbst zu schonen, zu entfernen. Jch gab endlich dem heißen Verlangen nach, hoffend, ein solches Gemüth, das den schwersten Dienst so kräftig fodere, werde auch mit Kraft darin beste- hen. Während dieser sieben Wochen kamen die schrecklichsten Anfälle Nacht und Tag so oft, daß selten zwei Stunden frei hingingen. Und Mag-
Freue Dich Deiner Tochter, Emma, bei ihr ſind weiche Milde und Kraft zum Dulden, wie zum Duldenſehen, glücklich vereinigt. Sie erinnerte mich oft an ein liebes ſechzehnjähriges Mädchen, für deſſen Bildung ich einſt ſorgte. Oft mußt’ ich den Kindern von ihr erzählen, wie ſie ſieben Wo- chen hindurch nicht von dem Bette der geliebten Geſpielin wegzubringen war, die an den heftig- ſten Krämpfen litt. Alle andern jungen Geſpie- linnen wurden aus Vorſicht von dieſem Kranken- bett entfernt, weil auf ſchwache Naturen nichts verderblicher wirkt, als der Anblick von heftigen Krämpfen.
Magdalis allein war aus dem Krankenzimmer durch keine Vorſtellung und durch keine Bitte, ihrer ſelbſt zu ſchonen, zu entfernen. Jch gab endlich dem heißen Verlangen nach, hoffend, ein ſolches Gemüth, das den ſchwerſten Dienſt ſo kräftig fodere, werde auch mit Kraft darin beſte- hen. Während dieſer ſieben Wochen kamen die ſchrecklichſten Anfälle Nacht und Tag ſo oft, daß ſelten zwei Stunden frei hingingen. Und Mag-
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Freue Dich Deiner Tochter, Emma, bei ihr ſind
weiche Milde und Kraft zum Dulden, wie zum
Duldenſehen, glücklich vereinigt. Sie erinnerte
mich oft an ein liebes ſechzehnjähriges Mädchen,
für deſſen Bildung ich einſt ſorgte. Oft mußt’ ich
den Kindern von ihr erzählen, wie ſie ſieben Wo-
chen hindurch nicht von dem Bette der geliebten
Geſpielin wegzubringen war, die an den heftig-
ſten Krämpfen litt. Alle andern jungen Geſpie-
linnen wurden aus Vorſicht von dieſem Kranken-
bett entfernt, weil auf ſchwache Naturen nichts
verderblicher wirkt, als der Anblick von heftigen
Krämpfen.
Magdalis allein war aus dem Krankenzimmer
durch keine Vorſtellung und durch keine Bitte,
ihrer ſelbſt zu ſchonen, zu entfernen. Jch gab
endlich dem heißen Verlangen nach, hoffend, ein
ſolches Gemüth, das den ſchwerſten Dienſt ſo
kräftig fodere, werde auch mit Kraft darin beſte-
hen. Während dieſer ſieben Wochen kamen die
ſchrecklichſten Anfälle Nacht und Tag ſo oft, daß
ſelten zwei Stunden frei hingingen. Und Mag-
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/72>, abgerufen am 23.11.2024.
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