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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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derseelen zu wecken (ein Unkraut, das auch ohne
Nahrung und Pflege wächs't und wuchert). Keine,
gar keine Tugend des Herzens kann durch solche
Mittel erzielet werden, denn das Wesen der Tu-
gend bestehet in der geraden Richtung des Ge-
müths zu allem wahrhaft Guten und in der Kraft-
übung, diese Richtungen trotz allen Hinderungen
zu behaupten. Äußere Zucht und Ordnung mag
wohl durch Aussicht auf Lohn und Scheu vor Strafe
bewirkt werden. Und doch darf auch bei diesen
Kindern vielleicht nie die Rede davon seyn, wenn
sie ganz früh aufgenommen werden. Noch einmal
sey es gesagt, daß in Kleidung, Wohnung und
Kost alles Überflüßige, alles Gesuchte und Glän-
zende sorgfältig vermieden werden müsse. Jeder
früh angewöhnte Luxus wird zum Bedürfniß, und
macht das Leben höchst elend, wenn man sich erst
spät wieder davon entwöhnen, und einen ganz an-
dern Maßstab des äußern Glückes annehmen soll.
Jmmer sehnt der Sklave des Luxus sich nach den
Fleischtöpfen Egyptens, und seinem Lauch und
Zwiebeln zurück, und wenn man ihm auch Him-
melsbrot dafür böte.



derſeelen zu wecken (ein Unkraut, das auch ohne
Nahrung und Pflege wächſ’t und wuchert). Keine,
gar keine Tugend des Herzens kann durch ſolche
Mittel erzielet werden, denn das Weſen der Tu-
gend beſtehet in der geraden Richtung des Ge-
müths zu allem wahrhaft Guten und in der Kraft-
übung, dieſe Richtungen trotz allen Hinderungen
zu behaupten. Äußere Zucht und Ordnung mag
wohl durch Ausſicht auf Lohn und Scheu vor Strafe
bewirkt werden. Und doch darf auch bei dieſen
Kindern vielleicht nie die Rede davon ſeyn, wenn
ſie ganz früh aufgenommen werden. Noch einmal
ſey es geſagt, daß in Kleidung, Wohnung und
Koſt alles Überflüßige, alles Geſuchte und Glän-
zende ſorgfältig vermieden werden müſſe. Jeder
früh angewöhnte Luxus wird zum Bedürfniß, und
macht das Leben höchſt elend, wenn man ſich erſt
ſpät wieder davon entwöhnen, und einen ganz an-
dern Maßſtab des äußern Glückes annehmen ſoll.
Jmmer ſehnt der Sklave des Luxus ſich nach den
Fleiſchtöpfen Egyptens, und ſeinem Lauch und
Zwiebeln zurück, und wenn man ihm auch Him-
melsbrot dafür böte.

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[397/0405] derſeelen zu wecken (ein Unkraut, das auch ohne Nahrung und Pflege wächſ’t und wuchert). Keine, gar keine Tugend des Herzens kann durch ſolche Mittel erzielet werden, denn das Weſen der Tu- gend beſtehet in der geraden Richtung des Ge- müths zu allem wahrhaft Guten und in der Kraft- übung, dieſe Richtungen trotz allen Hinderungen zu behaupten. Äußere Zucht und Ordnung mag wohl durch Ausſicht auf Lohn und Scheu vor Strafe bewirkt werden. Und doch darf auch bei dieſen Kindern vielleicht nie die Rede davon ſeyn, wenn ſie ganz früh aufgenommen werden. Noch einmal ſey es geſagt, daß in Kleidung, Wohnung und Koſt alles Überflüßige, alles Geſuchte und Glän- zende ſorgfältig vermieden werden müſſe. Jeder früh angewöhnte Luxus wird zum Bedürfniß, und macht das Leben höchſt elend, wenn man ſich erſt ſpät wieder davon entwöhnen, und einen ganz an- dern Maßſtab des äußern Glückes annehmen ſoll. Jmmer ſehnt der Sklave des Luxus ſich nach den Fleiſchtöpfen Egyptens, und ſeinem Lauch und Zwiebeln zurück, und wenn man ihm auch Him- melsbrot dafür böte.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/405>, abgerufen am 25.04.2024.