Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.und auf dem Herzen habe, als trockene, reine, all- gemeine Regel hinstellen, oder nicht vielmehr diese Sätze oder den Geist davon zum Leben brin- gen, d. h. als lebendige Handlung dargestellt, er- scheinen lassen sollte, damit er in andern wieder zu Leben werde? -- Jmmer blieb ich am letztern, an der lebendigen Darstellung am liebsten haften. Und was wäre denn nun, fragte ich mich selbst, was wäre aufzustellen? Ein Gemälde genau nach dem kopirt, was wir im Leben alle Tage und über- all sehen? ein Gemälde welches jedermann als wirklich so anspräche, daß er ausrufen müßte: ja, das ist gerade so wie bei uns? -- da wäre dann ein solches Erziehungsgemälde ein Spiegel, worin die Alltäglichkeit sich selbst auf die alltäglichste Weise mit freundlicher Selbstgenügsamkeit beschauete, und sich streichelnd sagte: ja, so sind wir nun ein- mal, und so ist der Mensch wenn er nicht idealisirt wird. -- Soll es also seyn? oder sollte nicht viel- mehr ein Gemälde von dem aufgestellt werden, was die sorgsamste Erzieherin erringen kann, wenn ihr keine gar drückende Verhältnisse im Wege ste- hen? Soll nicht überhaupt so viel als möglich das und auf dem Herzen habe, als trockene, reine, all- gemeine Regel hinſtellen, oder nicht vielmehr dieſe Sätze oder den Geiſt davon zum Leben brin- gen, d. h. als lebendige Handlung dargeſtellt, er- ſcheinen laſſen ſollte, damit er in andern wieder zu Leben werde? — Jmmer blieb ich am letztern, an der lebendigen Darſtellung am liebſten haften. Und was wäre denn nun, fragte ich mich ſelbſt, was wäre aufzuſtellen? Ein Gemälde genau nach dem kopirt, was wir im Leben alle Tage und über- all ſehen? ein Gemälde welches jedermann als wirklich ſo anſpräche, daß er ausrufen müßte: ja, das iſt gerade ſo wie bei uns? — da wäre dann ein ſolches Erziehungsgemälde ein Spiegel, worin die Alltäglichkeit ſich ſelbſt auf die alltäglichſte Weiſe mit freundlicher Selbſtgenügſamkeit beſchauete, und ſich ſtreichelnd ſagte: ja, ſo ſind wir nun ein- mal, und ſo iſt der Menſch wenn er nicht idealiſirt wird. — Soll es alſo ſeyn? oder ſollte nicht viel- mehr ein Gemälde von dem aufgeſtellt werden, was die ſorgſamſte Erzieherin erringen kann, wenn ihr keine gar drückende Verhältniſſe im Wege ſte- hen? Soll nicht überhaupt ſo viel als möglich das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0365" n="357"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> und auf dem Herzen habe, als trockene, reine, all-<lb/> gemeine Regel hinſtellen, oder nicht vielmehr<lb/> dieſe Sätze oder den Geiſt davon zum Leben brin-<lb/> gen, d. h. als lebendige Handlung dargeſtellt, er-<lb/> ſcheinen laſſen ſollte, damit er in andern wieder<lb/> zu Leben werde? — Jmmer blieb ich am letztern,<lb/> an der lebendigen Darſtellung am liebſten haften.<lb/> Und was wäre denn nun, fragte ich mich ſelbſt,<lb/> was wäre aufzuſtellen? Ein Gemälde genau nach<lb/> dem kopirt, was wir im Leben alle Tage und über-<lb/> all ſehen? ein Gemälde welches jedermann als<lb/> wirklich <hi rendition="#g">ſo</hi> anſpräche, daß er ausrufen müßte: ja,<lb/> das iſt gerade ſo wie bei uns? — da wäre dann<lb/> ein ſolches Erziehungsgemälde ein Spiegel, worin<lb/> die Alltäglichkeit ſich ſelbſt auf die alltäglichſte Weiſe<lb/> mit freundlicher Selbſtgenügſamkeit beſchauete,<lb/> und ſich ſtreichelnd ſagte: ja, ſo ſind wir nun ein-<lb/> mal, und ſo iſt der Menſch wenn er nicht idealiſirt<lb/> wird. — Soll es alſo ſeyn? oder ſollte nicht viel-<lb/> mehr ein Gemälde von dem aufgeſtellt werden,<lb/> was die ſorgſamſte Erzieherin erringen kann, wenn<lb/> ihr keine gar drückende Verhältniſſe im Wege ſte-<lb/> hen? Soll nicht überhaupt ſo viel als möglich das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [357/0365]
und auf dem Herzen habe, als trockene, reine, all-
gemeine Regel hinſtellen, oder nicht vielmehr
dieſe Sätze oder den Geiſt davon zum Leben brin-
gen, d. h. als lebendige Handlung dargeſtellt, er-
ſcheinen laſſen ſollte, damit er in andern wieder
zu Leben werde? — Jmmer blieb ich am letztern,
an der lebendigen Darſtellung am liebſten haften.
Und was wäre denn nun, fragte ich mich ſelbſt,
was wäre aufzuſtellen? Ein Gemälde genau nach
dem kopirt, was wir im Leben alle Tage und über-
all ſehen? ein Gemälde welches jedermann als
wirklich ſo anſpräche, daß er ausrufen müßte: ja,
das iſt gerade ſo wie bei uns? — da wäre dann
ein ſolches Erziehungsgemälde ein Spiegel, worin
die Alltäglichkeit ſich ſelbſt auf die alltäglichſte Weiſe
mit freundlicher Selbſtgenügſamkeit beſchauete,
und ſich ſtreichelnd ſagte: ja, ſo ſind wir nun ein-
mal, und ſo iſt der Menſch wenn er nicht idealiſirt
wird. — Soll es alſo ſeyn? oder ſollte nicht viel-
mehr ein Gemälde von dem aufgeſtellt werden,
was die ſorgſamſte Erzieherin erringen kann, wenn
ihr keine gar drückende Verhältniſſe im Wege ſte-
hen? Soll nicht überhaupt ſo viel als möglich das
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