Grundsätze bei weitem nicht so unbedingt folgen könnest, als Du Dir fest vorgesetzt, daß Deine Verhältnisse es Dir oft schwer machten, und Du nicht selten versucht seyest zu glauben, es gehöre die Hingabe seiner ganzen Existenz dazu, um seine Kinder nach diesen Grundsätzen streng und ohne Ausnahme zu leiten.
Daß dem also sey -- könnt' ich nicht widerle- gen, wenn ich es auch versuchen wollte. Wirklich gehört zu einer solchen Erziehungsweise ein Grad der Hingabe und der Richtung seines ganzen Stre- bens, die nicht jedermanns Sache ist, und den selbst der beste Wille nicht immer von sich erhalten und in jeder Lage möglich machen kann. Aber was folgt daraus? -- Dir, meine Gute, kann es nicht begegnen, das für ganz unausführbar zu erklären, was Du nicht ganz auszuführen ver- magst, und was sich vielleicht nur in solchen Ver- hältnissen, wie die meinigen, gerade so möglich machen ließ. Oft schon sann ich darüber nach: wenn ich ein Erziehungsbuch zu schreiben hätte, ob ich alles, was ich über die Sache im Sinne
Grundſätze bei weitem nicht ſo unbedingt folgen könneſt, als Du Dir feſt vorgeſetzt, daß Deine Verhältniſſe es Dir oft ſchwer machten, und Du nicht ſelten verſucht ſeyeſt zu glauben, es gehöre die Hingabe ſeiner ganzen Exiſtenz dazu, um ſeine Kinder nach dieſen Grundſätzen ſtreng und ohne Ausnahme zu leiten.
Daß dem alſo ſey — könnt’ ich nicht widerle- gen, wenn ich es auch verſuchen wollte. Wirklich gehört zu einer ſolchen Erziehungsweiſe ein Grad der Hingabe und der Richtung ſeines ganzen Stre- bens, die nicht jedermanns Sache iſt, und den ſelbſt der beſte Wille nicht immer von ſich erhalten und in jeder Lage möglich machen kann. Aber was folgt daraus? — Dir, meine Gute, kann es nicht begegnen, das für ganz unausführbar zu erklären, was Du nicht ganz auszuführen ver- magſt, und was ſich vielleicht nur in ſolchen Ver- hältniſſen, wie die meinigen, gerade ſo möglich machen ließ. Oft ſchon ſann ich darüber nach: wenn ich ein Erziehungsbuch zu ſchreiben hätte, ob ich alles, was ich über die Sache im Sinne
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Grundſätze bei weitem nicht ſo unbedingt folgen
könneſt, als Du Dir feſt vorgeſetzt, daß Deine
Verhältniſſe es Dir oft ſchwer machten, und Du
nicht ſelten verſucht ſeyeſt zu glauben, es gehöre
die Hingabe ſeiner ganzen Exiſtenz dazu, um ſeine
Kinder nach dieſen Grundſätzen ſtreng und ohne
Ausnahme zu leiten.
Daß dem alſo ſey — könnt’ ich nicht widerle-
gen, wenn ich es auch verſuchen wollte. Wirklich
gehört zu einer ſolchen Erziehungsweiſe ein Grad
der Hingabe und der Richtung ſeines ganzen Stre-
bens, die nicht jedermanns Sache iſt, und den
ſelbſt der beſte Wille nicht immer von ſich erhalten
und in jeder Lage möglich machen kann. Aber
was folgt daraus? — Dir, meine Gute, kann es
nicht begegnen, das für ganz unausführbar
zu erklären, was Du nicht ganz auszuführen ver-
magſt, und was ſich vielleicht nur in ſolchen Ver-
hältniſſen, wie die meinigen, gerade ſo möglich
machen ließ. Oft ſchon ſann ich darüber nach:
wenn ich ein Erziehungsbuch zu ſchreiben hätte,
ob ich alles, was ich über die Sache im Sinne
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/364>, abgerufen am 22.11.2024.
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