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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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sie todtenblaß. -- Solche Beispiele, deren ich
mehrere sahe, haben mich aller starken Ueberra-
schung sehr abgeneigt gemacht. Jch selbst für
meine Person hasse sie ordentlich; sie berauben
uns aller Freiheit des Gemüths, und machen die
Freude zu einer rohen krampfhaften Aufwallung,
zu einem Rausch, welcher uns die Besinnung
raubt. Diese Freude (wenn solches unbehagliche
Gefühl noch den Namen verdienen könnte) gränzt
so nahe an das quälende Peinliche im Schmerz,
daß ich sie vom heftigen Schmerze nicht zu unter-
scheiden weiß. Jch brauche lange Zeit, ehe ich
aus so einem tumultuarischen Zustande wieder zu
mir komme. Und ist nicht ein Gemüth voll hoher
Ruhe das eigentliche Element der schönern Em-
pfindungen! -- Großes plötzlich hereinbrechendes
Unglück kann eine gesunde Seele viel leichter tra-
gen. Da kommt man schneller zum Gefühl seiner
Kraft. -- Sollte es also auch Deines Mannes
freundlich heimliche Absicht sey, die Reise über
L... zu stellen, und uns hier zu besuchen: so
bitte ich Dich, um meiner und der Kinder
willen, uns das ganz bestimmt zu melden, da-

ſie todtenblaß. — Solche Beiſpiele, deren ich
mehrere ſahe, haben mich aller ſtarken Ueberra-
ſchung ſehr abgeneigt gemacht. Jch ſelbſt für
meine Perſon haſſe ſie ordentlich; ſie berauben
uns aller Freiheit des Gemüths, und machen die
Freude zu einer rohen krampfhaften Aufwallung,
zu einem Rauſch, welcher uns die Beſinnung
raubt. Dieſe Freude (wenn ſolches unbehagliche
Gefühl noch den Namen verdienen könnte) gränzt
ſo nahe an das quälende Peinliche im Schmerz,
daß ich ſie vom heftigen Schmerze nicht zu unter-
ſcheiden weiß. Jch brauche lange Zeit, ehe ich
aus ſo einem tumultuariſchen Zuſtande wieder zu
mir komme. Und iſt nicht ein Gemüth voll hoher
Ruhe das eigentliche Element der ſchönern Em-
pfindungen! — Großes plötzlich hereinbrechendes
Unglück kann eine geſunde Seele viel leichter tra-
gen. Da kommt man ſchneller zum Gefühl ſeiner
Kraft. — Sollte es alſo auch Deines Mannes
freundlich heimliche Abſicht ſey, die Reiſe über
L… zu ſtellen, und uns hier zu beſuchen: ſo
bitte ich Dich, um meiner und der Kinder
willen, uns das ganz beſtimmt zu melden, da-

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[28/0036] ſie todtenblaß. — Solche Beiſpiele, deren ich mehrere ſahe, haben mich aller ſtarken Ueberra- ſchung ſehr abgeneigt gemacht. Jch ſelbſt für meine Perſon haſſe ſie ordentlich; ſie berauben uns aller Freiheit des Gemüths, und machen die Freude zu einer rohen krampfhaften Aufwallung, zu einem Rauſch, welcher uns die Beſinnung raubt. Dieſe Freude (wenn ſolches unbehagliche Gefühl noch den Namen verdienen könnte) gränzt ſo nahe an das quälende Peinliche im Schmerz, daß ich ſie vom heftigen Schmerze nicht zu unter- ſcheiden weiß. Jch brauche lange Zeit, ehe ich aus ſo einem tumultuariſchen Zuſtande wieder zu mir komme. Und iſt nicht ein Gemüth voll hoher Ruhe das eigentliche Element der ſchönern Em- pfindungen! — Großes plötzlich hereinbrechendes Unglück kann eine geſunde Seele viel leichter tra- gen. Da kommt man ſchneller zum Gefühl ſeiner Kraft. — Sollte es alſo auch Deines Mannes freundlich heimliche Abſicht ſey, die Reiſe über L… zu ſtellen, und uns hier zu beſuchen: ſo bitte ich Dich, um meiner und der Kinder willen, uns das ganz beſtimmt zu melden, da-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/36>, abgerufen am 24.04.2024.