besser, größer, edler als ich. Denn hat sie mich nicht mit dem blassen Angesichte, mit ihrem stillen sich verzehrenden Herzen früher geliebt, als ich's wußte, als ich's ahnen konnte, als ich die Groß- muth solcher stillen Liebe erkennen konnte? Sie wollte, sich aufopfernd, sich willig in's Grab legen, wo ihre Mutter schläft, weil sie Eure Gesinnung nicht kannte, und ohne Euren freiwilligsten Se- gen wollte sie die Liebe des Menschen nicht, der doch nur ganz allein in ihrer Seele wohnte. Sa- ge selbst, Du Heilige, ist es nicht so? -- Hier nimm die Feder Deines allzutrunkenen Freundes, ich kann nicht mehr!
Betty an Woldemar's Eltern.
Und werde ich es denn können, würdigste El- tern! Jhr edler Sohn hat alle Verschanzungen ei- nes Herzens niedergerissen, welches schon einsam und unglücklich seyn gelernt hatte. Aber was sage ich unglücklich? Jch war es nicht. Jch war ent- schlossen dem frühen Tode mein welkendes Leben als ein freiwilliges Opfer hinzugeben, damit Jhr treflicher Sohn weder in Jhrer Liebe noch auf sei-
beſſer, größer, edler als ich. Denn hat ſie mich nicht mit dem blaſſen Angeſichte, mit ihrem ſtillen ſich verzehrenden Herzen früher geliebt, als ich’s wußte, als ich’s ahnen konnte, als ich die Groß- muth ſolcher ſtillen Liebe erkennen konnte? Sie wollte, ſich aufopfernd, ſich willig in’s Grab legen, wo ihre Mutter ſchläft, weil ſie Eure Geſinnung nicht kannte, und ohne Euren freiwilligſten Se- gen wollte ſie die Liebe des Menſchen nicht, der doch nur ganz allein in ihrer Seele wohnte. Sa- ge ſelbſt, Du Heilige, iſt es nicht ſo? — Hier nimm die Feder Deines allzutrunkenen Freundes, ich kann nicht mehr!
Betty an Woldemar’s Eltern.
Und werde ich es denn können, würdigſte El- tern! Jhr edler Sohn hat alle Verſchanzungen ei- nes Herzens niedergeriſſen, welches ſchon einſam und unglücklich ſeyn gelernt hatte. Aber was ſage ich unglücklich? Jch war es nicht. Jch war ent- ſchloſſen dem frühen Tode mein welkendes Leben als ein freiwilliges Opfer hinzugeben, damit Jhr treflicher Sohn weder in Jhrer Liebe noch auf ſei-
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beſſer, größer, edler als ich. Denn hat ſie mich
nicht mit dem blaſſen Angeſichte, mit ihrem ſtillen
ſich verzehrenden Herzen früher geliebt, als ich’s
wußte, als ich’s ahnen konnte, als ich die Groß-
muth ſolcher ſtillen Liebe erkennen konnte? Sie
wollte, ſich aufopfernd, ſich willig in’s Grab legen,
wo ihre Mutter ſchläft, weil ſie Eure Geſinnung
nicht kannte, und ohne Euren freiwilligſten Se-
gen wollte ſie die Liebe des Menſchen nicht, der
doch nur ganz allein in ihrer Seele wohnte. Sa-
ge ſelbſt, Du Heilige, iſt es nicht ſo? — Hier
nimm die Feder Deines allzutrunkenen Freundes,
ich kann nicht mehr!
Betty an Woldemar’s Eltern.
Und werde ich es denn können, würdigſte El-
tern! Jhr edler Sohn hat alle Verſchanzungen ei-
nes Herzens niedergeriſſen, welches ſchon einſam
und unglücklich ſeyn gelernt hatte. Aber was ſage
ich unglücklich? Jch war es nicht. Jch war ent-
ſchloſſen dem frühen Tode mein welkendes Leben
als ein freiwilliges Opfer hinzugeben, damit Jhr
treflicher Sohn weder in Jhrer Liebe noch auf ſei-
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/348>, abgerufen am 24.07.2024.
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