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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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daß wir sie (so weh es uns auch that) die Er-
fahrung machen ließen, daß sie durch dies Mittel-
chen keinen Wunsch mehr erreiche. Wir hießen
ihr Schreien geradezu Unart, und ließen sie ste-
hen. Nun versprach sie artig zu seyn, und ward
zu Gnaden wieder angenommen. Eine Zeit dar-
auf erhielt sie das Verlangte. Sie merkte sich
bald, daß das Schreien dennoch nütze, und nur
durch einen kleinen Umweg zum Ziele führe; auch
mochte ihr das süße Gefühl der Aussöhnung nach
solcher Szene wohl thun. Kurz, sie blieb bei ih-
rer Methode, bis ich verordnete: so bald sie wie-
der schrie, sollten alle von ihr weggehen, und
keins sich eher um sie bekümmern, als bis sie
völlig ruhig sey; aber auch dann ihr das Be-
gehrte nicht geben, sondern sie durch etwas ganz
anders freundlich zerstreuen. Dies half schon viel,
sie versuchte dies Mittel nicht mehr oft. Zum
völligen Entwöhnen vom Schreien mag wohl der
Anblick eines gezüchtigten Kindes unserer Bleiche-
rin, etwa von Seraphinens Alter, mitgewirkt
haben. Jch wußte nemlich, daß diese Mutter die
Ruthe als ein Universalmittel gegen alle Kinder-



daß wir ſie (ſo weh es uns auch that) die Er-
fahrung machen ließen, daß ſie durch dies Mittel-
chen keinen Wunſch mehr erreiche. Wir hießen
ihr Schreien geradezu Unart, und ließen ſie ſte-
hen. Nun verſprach ſie artig zu ſeyn, und ward
zu Gnaden wieder angenommen. Eine Zeit dar-
auf erhielt ſie das Verlangte. Sie merkte ſich
bald, daß das Schreien dennoch nütze, und nur
durch einen kleinen Umweg zum Ziele führe; auch
mochte ihr das ſüße Gefühl der Ausſöhnung nach
ſolcher Szene wohl thun. Kurz, ſie blieb bei ih-
rer Methode, bis ich verordnete: ſo bald ſie wie-
der ſchrie, ſollten alle von ihr weggehen, und
keins ſich eher um ſie bekümmern, als bis ſie
völlig ruhig ſey; aber auch dann ihr das Be-
gehrte nicht geben, ſondern ſie durch etwas ganz
anders freundlich zerſtreuen. Dies half ſchon viel,
ſie verſuchte dies Mittel nicht mehr oft. Zum
völligen Entwöhnen vom Schreien mag wohl der
Anblick eines gezüchtigten Kindes unſerer Bleiche-
rin, etwa von Seraphinens Alter, mitgewirkt
haben. Jch wußte nemlich, daß dieſe Mutter die
Ruthe als ein Univerſalmittel gegen alle Kinder-

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[244/0252] daß wir ſie (ſo weh es uns auch that) die Er- fahrung machen ließen, daß ſie durch dies Mittel- chen keinen Wunſch mehr erreiche. Wir hießen ihr Schreien geradezu Unart, und ließen ſie ſte- hen. Nun verſprach ſie artig zu ſeyn, und ward zu Gnaden wieder angenommen. Eine Zeit dar- auf erhielt ſie das Verlangte. Sie merkte ſich bald, daß das Schreien dennoch nütze, und nur durch einen kleinen Umweg zum Ziele führe; auch mochte ihr das ſüße Gefühl der Ausſöhnung nach ſolcher Szene wohl thun. Kurz, ſie blieb bei ih- rer Methode, bis ich verordnete: ſo bald ſie wie- der ſchrie, ſollten alle von ihr weggehen, und keins ſich eher um ſie bekümmern, als bis ſie völlig ruhig ſey; aber auch dann ihr das Be- gehrte nicht geben, ſondern ſie durch etwas ganz anders freundlich zerſtreuen. Dies half ſchon viel, ſie verſuchte dies Mittel nicht mehr oft. Zum völligen Entwöhnen vom Schreien mag wohl der Anblick eines gezüchtigten Kindes unſerer Bleiche- rin, etwa von Seraphinens Alter, mitgewirkt haben. Jch wußte nemlich, daß dieſe Mutter die Ruthe als ein Univerſalmittel gegen alle Kinder-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/252>, abgerufen am 24.11.2024.