Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schwärmerei der Menschenliebe? -- O die
Macht des Egoismus ist so groß unter den Men-
schen; wenn nun die Unsrigen ein wenig für sein
Gegentheil schwärmten! -- Doch Du und ich kön-
nen uns hierin auch nicht mißverstehen. Verzei-
hung also für diese Vertheidigung, die Dir viel-
leicht völlig überflüssig erscheint.

Unsere Kinder sind bei dieser Sinnes-und Han-
delnsart so glücklich, so fröhlich, als Kinder nur
seyn können. Kann doch die Ausgelassenheit und die
Herrschaft der Thorheit nur auf Augenblicke glück-
lich machen, und müssen sie doch nothwendig eine
bange Leere zurücklassen, wo man durch sie fröh-
lich war.

Erst seit wir hier sind, haben wir das Stu-
dium der Geschichte ernstlich zu betreiben angefan-
gen. Materialien dazu hatten wir genug eingesam-
melt. Eines unserer Zimmer ist ganz mit Land-
karten tapezirt. Jn diesem halten wir un-
sere Geschichtstunde, und die Karte des Landes,
von dessen Geschichte eben die Rede ist, liegt vor

die Schwärmerei der Menſchenliebe? — O die
Macht des Egoismus iſt ſo groß unter den Men-
ſchen; wenn nun die Unſrigen ein wenig für ſein
Gegentheil ſchwärmten! — Doch Du und ich kön-
nen uns hierin auch nicht mißverſtehen. Verzei-
hung alſo für dieſe Vertheidigung, die Dir viel-
leicht völlig überflüſſig erſcheint.

Unſere Kinder ſind bei dieſer Sinnes-und Han-
delnsart ſo glücklich, ſo fröhlich, als Kinder nur
ſeyn können. Kann doch die Ausgelaſſenheit und die
Herrſchaft der Thorheit nur auf Augenblicke glück-
lich machen, und müſſen ſie doch nothwendig eine
bange Leere zurücklaſſen, wo man durch ſie fröh-
lich war.

Erſt ſeit wir hier ſind, haben wir das Stu-
dium der Geſchichte ernſtlich zu betreiben angefan-
gen. Materialien dazu hatten wir genug eingeſam-
melt. Eines unſerer Zimmer iſt ganz mit Land-
karten tapezirt. Jn dieſem halten wir un-
ſere Geſchichtſtunde, und die Karte des Landes,
von deſſen Geſchichte eben die Rede iſt, liegt vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0200" n="192"/>
die Schwärmerei der Men&#x017F;chenliebe? &#x2014; O die<lb/>
Macht des Egoismus i&#x017F;t &#x017F;o groß unter den Men-<lb/>
&#x017F;chen; wenn nun die Un&#x017F;rigen ein wenig für &#x017F;ein<lb/>
Gegentheil &#x017F;chwärmten! &#x2014; Doch Du und ich kön-<lb/>
nen uns hierin auch nicht mißver&#x017F;tehen. Verzei-<lb/>
hung al&#x017F;o für die&#x017F;e Vertheidigung, die Dir viel-<lb/>
leicht völlig überflü&#x017F;&#x017F;ig er&#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;ere Kinder &#x017F;ind bei die&#x017F;er Sinnes-und Han-<lb/>
delnsart &#x017F;o glücklich, &#x017F;o fröhlich, als Kinder nur<lb/>
&#x017F;eyn können. Kann doch die Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit und die<lb/>
Herr&#x017F;chaft der Thorheit nur auf Augenblicke glück-<lb/>
lich machen, und mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie doch nothwendig eine<lb/>
bange Leere zurückla&#x017F;&#x017F;en, wo man durch &#x017F;ie fröh-<lb/>
lich war.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;t &#x017F;eit wir hier &#x017F;ind, haben wir das Stu-<lb/>
dium der Ge&#x017F;chichte ern&#x017F;tlich zu betreiben angefan-<lb/>
gen. Materialien dazu hatten wir genug einge&#x017F;am-<lb/>
melt. Eines un&#x017F;erer Zimmer i&#x017F;t ganz mit Land-<lb/>
karten tapezirt. Jn die&#x017F;em halten wir un-<lb/>
&#x017F;ere Ge&#x017F;chicht&#x017F;tunde, und die Karte des Landes,<lb/>
von de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;chichte eben die Rede i&#x017F;t, liegt vor<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0200] die Schwärmerei der Menſchenliebe? — O die Macht des Egoismus iſt ſo groß unter den Men- ſchen; wenn nun die Unſrigen ein wenig für ſein Gegentheil ſchwärmten! — Doch Du und ich kön- nen uns hierin auch nicht mißverſtehen. Verzei- hung alſo für dieſe Vertheidigung, die Dir viel- leicht völlig überflüſſig erſcheint. Unſere Kinder ſind bei dieſer Sinnes-und Han- delnsart ſo glücklich, ſo fröhlich, als Kinder nur ſeyn können. Kann doch die Ausgelaſſenheit und die Herrſchaft der Thorheit nur auf Augenblicke glück- lich machen, und müſſen ſie doch nothwendig eine bange Leere zurücklaſſen, wo man durch ſie fröh- lich war. Erſt ſeit wir hier ſind, haben wir das Stu- dium der Geſchichte ernſtlich zu betreiben angefan- gen. Materialien dazu hatten wir genug eingeſam- melt. Eines unſerer Zimmer iſt ganz mit Land- karten tapezirt. Jn dieſem halten wir un- ſere Geſchichtſtunde, und die Karte des Landes, von deſſen Geſchichte eben die Rede iſt, liegt vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/200
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/200>, abgerufen am 07.05.2024.