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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Arme, als mein Vater erst auf die Pfarre kam;
da haben wir es oft sehen müssen. Aber meine
Mutter hatte eher keinen Frieden, als bis es in
allen Haushaltungen ganz ordentlich und sauber
war. Und dann sagte sie zu mir und Betty: die
erste Wohlthat die man dem Armen erweisen kann,
sobald man ihn gesättigt hat, ist die, daß man
ihn aus dem Sumpf des Schmutzes herauszieht.
Und da ist mir das so zum Bedürfniß worden.
Wenn ich auf der Straße schmutzige Kinder sehe,
da däucht mir immer, ich müßte sie waschen und
reinigen. O liebe Clare, Du bist doch besser als
ich, sagte Jda, aber ich will es Dir schon noch
nachthun, Du sollst nur sehen. Mathilde sagte
seufzend, nein Jda, ich lerne das nicht; mir ekelt
es gar zu sehr. Gern will ich einen Tag und wohl
zwei fasten, wenn es seyn soll, und dem Armen
meinen Antheil überlassen; aber in solchen Greuel
hineingehen, und gar anfassen und aufräumen,
nein das kann ich nicht. O Clare, wie bist Du
so gut! Rechnet das doch nicht so hoch -- es ist ja
nichts, gar nichts, als frühe Gewohnheit, erwie-
derte Clärchen.

Arme, als mein Vater erſt auf die Pfarre kam;
da haben wir es oft ſehen müſſen. Aber meine
Mutter hatte eher keinen Frieden, als bis es in
allen Haushaltungen ganz ordentlich und ſauber
war. Und dann ſagte ſie zu mir und Betty: die
erſte Wohlthat die man dem Armen erweiſen kann,
ſobald man ihn geſättigt hat, iſt die, daß man
ihn aus dem Sumpf des Schmutzes herauszieht.
Und da iſt mir das ſo zum Bedürfniß worden.
Wenn ich auf der Straße ſchmutzige Kinder ſehe,
da däucht mir immer, ich müßte ſie waſchen und
reinigen. O liebe Clare, Du biſt doch beſſer als
ich, ſagte Jda, aber ich will es Dir ſchon noch
nachthun, Du ſollſt nur ſehen. Mathilde ſagte
ſeufzend, nein Jda, ich lerne das nicht; mir ekelt
es gar zu ſehr. Gern will ich einen Tag und wohl
zwei faſten, wenn es ſeyn ſoll, und dem Armen
meinen Antheil überlaſſen; aber in ſolchen Greuel
hineingehen, und gar anfaſſen und aufräumen,
nein das kann ich nicht. O Clare, wie biſt Du
ſo gut! Rechnet das doch nicht ſo hoch — es iſt ja
nichts, gar nichts, als frühe Gewohnheit, erwie-
derte Clärchen.

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[184/0192] Arme, als mein Vater erſt auf die Pfarre kam; da haben wir es oft ſehen müſſen. Aber meine Mutter hatte eher keinen Frieden, als bis es in allen Haushaltungen ganz ordentlich und ſauber war. Und dann ſagte ſie zu mir und Betty: die erſte Wohlthat die man dem Armen erweiſen kann, ſobald man ihn geſättigt hat, iſt die, daß man ihn aus dem Sumpf des Schmutzes herauszieht. Und da iſt mir das ſo zum Bedürfniß worden. Wenn ich auf der Straße ſchmutzige Kinder ſehe, da däucht mir immer, ich müßte ſie waſchen und reinigen. O liebe Clare, Du biſt doch beſſer als ich, ſagte Jda, aber ich will es Dir ſchon noch nachthun, Du ſollſt nur ſehen. Mathilde ſagte ſeufzend, nein Jda, ich lerne das nicht; mir ekelt es gar zu ſehr. Gern will ich einen Tag und wohl zwei faſten, wenn es ſeyn ſoll, und dem Armen meinen Antheil überlaſſen; aber in ſolchen Greuel hineingehen, und gar anfaſſen und aufräumen, nein das kann ich nicht. O Clare, wie biſt Du ſo gut! Rechnet das doch nicht ſo hoch — es iſt ja nichts, gar nichts, als frühe Gewohnheit, erwie- derte Clärchen.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/192>, abgerufen am 07.05.2024.