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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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nen, und ohne den Beistand wohlthätiger Men-
schen müßten wir gar verzagen. Nun will aber
der Doktor, sie soll alle Tage starke Brühen und
dann und wann auch Hühnerfleisch essen. Aber
du mein Gott, wo soll das herkommen? Gestern
Abend sagte die arme Kranke, ja wenn ich mich
nur einmal in Hühnerfleisch ganz satt essen könnte.
Jch sah Jda an, sie ward roth. Jch sagte ihr
auf englisch: fchade daß unsere beiden Schlacht-
hühner nicht mehr da sind, die Frau sollte sie so-
gleich haben. Jda erröthete noch mehr. "Tante,
sie sind noch da, sie dauerten mich gar zu sehr, ich
habe andere dafür kaufen lassen und die haben wir
heute Mittag gegessen." "Ja so, nun dann weiß
ich der armen Kranken nicht zu helfen. Gib dem
Manne Geld, Jda, daß er selbst Hühner kaufe."
Liebe Tante, es war das letzte von meinem Mo-
natsgelde, und Schulden darf ich nicht machen,
wie Du weißt. "Jch habe aber noch Vorrath in
meiner Privatarmenkasse, Jda, willst Du nun Hüh-
ner holen lassen, Du weißt ja nun, wo welche zu
haben sind?" Gute Tante, die Köchin ist gestern
bis in die Nacht herumgelaufen, ehe sie die beiden

nen, und ohne den Beiſtand wohlthätiger Men-
ſchen müßten wir gar verzagen. Nun will aber
der Doktor, ſie ſoll alle Tage ſtarke Brühen und
dann und wann auch Hühnerfleiſch eſſen. Aber
du mein Gott, wo ſoll das herkommen? Geſtern
Abend ſagte die arme Kranke, ja wenn ich mich
nur einmal in Hühnerfleiſch ganz ſatt eſſen könnte.
Jch ſah Jda an, ſie ward roth. Jch ſagte ihr
auf engliſch: fchade daß unſere beiden Schlacht-
hühner nicht mehr da ſind, die Frau ſollte ſie ſo-
gleich haben. Jda erröthete noch mehr. „Tante,
ſie ſind noch da, ſie dauerten mich gar zu ſehr, ich
habe andere dafür kaufen laſſen und die haben wir
heute Mittag gegeſſen.‟ „Ja ſo, nun dann weiß
ich der armen Kranken nicht zu helfen. Gib dem
Manne Geld, Jda, daß er ſelbſt Hühner kaufe.‟
Liebe Tante, es war das letzte von meinem Mo-
natsgelde, und Schulden darf ich nicht machen,
wie Du weißt. „Jch habe aber noch Vorrath in
meiner Privatarmenkaſſe, Jda, willſt Du nun Hüh-
ner holen laſſen, Du weißt ja nun, wo welche zu
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bis in die Nacht herumgelaufen, ehe ſie die beiden

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[181/0189] nen, und ohne den Beiſtand wohlthätiger Men- ſchen müßten wir gar verzagen. Nun will aber der Doktor, ſie ſoll alle Tage ſtarke Brühen und dann und wann auch Hühnerfleiſch eſſen. Aber du mein Gott, wo ſoll das herkommen? Geſtern Abend ſagte die arme Kranke, ja wenn ich mich nur einmal in Hühnerfleiſch ganz ſatt eſſen könnte. Jch ſah Jda an, ſie ward roth. Jch ſagte ihr auf engliſch: fchade daß unſere beiden Schlacht- hühner nicht mehr da ſind, die Frau ſollte ſie ſo- gleich haben. Jda erröthete noch mehr. „Tante, ſie ſind noch da, ſie dauerten mich gar zu ſehr, ich habe andere dafür kaufen laſſen und die haben wir heute Mittag gegeſſen.‟ „Ja ſo, nun dann weiß ich der armen Kranken nicht zu helfen. Gib dem Manne Geld, Jda, daß er ſelbſt Hühner kaufe.‟ Liebe Tante, es war das letzte von meinem Mo- natsgelde, und Schulden darf ich nicht machen, wie Du weißt. „Jch habe aber noch Vorrath in meiner Privatarmenkaſſe, Jda, willſt Du nun Hüh- ner holen laſſen, Du weißt ja nun, wo welche zu haben ſind?‟ Gute Tante, die Köchin iſt geſtern bis in die Nacht herumgelaufen, ehe ſie die beiden

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/189>, abgerufen am 08.05.2024.