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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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bei den andern schade. Sie weicht ihm fast nie
von der Seite. Hertha sagt, sie sey sein Mentor,
seine Minerva, und decke ihn mit der Ägide. Es
ist wirklich ein schönes schlankes Geschwisterpaar,
und recht lieblich neben einander zu schauen. Jhn
scheint Mathildens Allgegenwart ein wenig zu
drücken; er möchte besonders gern mit Hertha
spassen, aber Mathilde leidet es nicht. -- Bist Du
denn nun ganz glücklich? fragte ich Mathilden.
Jch weiß nicht, beste Tante, warum ich nicht
ganz froh seyn kann? -- und doch weiß ich es; es
ist die Furcht, daß der Bruder Dir und Jda miß-
falle. Auch fürchtest Du Hertha's Züngelchen ein
wenig? Jst's nicht so, Mathilde? So ist es,
Tante! Jch könnte es nicht ertragen, sie über
ihn spotten zu hören -- und doch weiß ich, daß
sie es gar nicht böse meint. Ueber mich mag sie
immer lachen, nur über den Bruder nicht, das
könnte ich nicht verschmerzen. -- Sie wird es auch
nicht, ich stehe für sie.

Jch nahm Hertha hernach zu mir allein auf der
Gartenterrasse, wir setzten uns auf ein einsames

bei den andern ſchade. Sie weicht ihm faſt nie
von der Seite. Hertha ſagt, ſie ſey ſein Mentor,
ſeine Minerva, und decke ihn mit der Ägide. Es
iſt wirklich ein ſchönes ſchlankes Geſchwiſterpaar,
und recht lieblich neben einander zu ſchauen. Jhn
ſcheint Mathildens Allgegenwart ein wenig zu
drücken; er möchte beſonders gern mit Hertha
ſpaſſen, aber Mathilde leidet es nicht. — Biſt Du
denn nun ganz glücklich? fragte ich Mathilden.
Jch weiß nicht, beſte Tante, warum ich nicht
ganz froh ſeyn kann? — und doch weiß ich es; es
iſt die Furcht, daß der Bruder Dir und Jda miß-
falle. Auch fürchteſt Du Hertha’s Züngelchen ein
wenig? Jſt’s nicht ſo, Mathilde? So iſt es,
Tante! Jch könnte es nicht ertragen, ſie über
ihn ſpotten zu hören — und doch weiß ich, daß
ſie es gar nicht böſe meint. Ueber mich mag ſie
immer lachen, nur über den Bruder nicht, das
könnte ich nicht verſchmerzen. — Sie wird es auch
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[163/0171] bei den andern ſchade. Sie weicht ihm faſt nie von der Seite. Hertha ſagt, ſie ſey ſein Mentor, ſeine Minerva, und decke ihn mit der Ägide. Es iſt wirklich ein ſchönes ſchlankes Geſchwiſterpaar, und recht lieblich neben einander zu ſchauen. Jhn ſcheint Mathildens Allgegenwart ein wenig zu drücken; er möchte beſonders gern mit Hertha ſpaſſen, aber Mathilde leidet es nicht. — Biſt Du denn nun ganz glücklich? fragte ich Mathilden. Jch weiß nicht, beſte Tante, warum ich nicht ganz froh ſeyn kann? — und doch weiß ich es; es iſt die Furcht, daß der Bruder Dir und Jda miß- falle. Auch fürchteſt Du Hertha’s Züngelchen ein wenig? Jſt’s nicht ſo, Mathilde? So iſt es, Tante! Jch könnte es nicht ertragen, ſie über ihn ſpotten zu hören — und doch weiß ich, daß ſie es gar nicht böſe meint. Ueber mich mag ſie immer lachen, nur über den Bruder nicht, das könnte ich nicht verſchmerzen. — Sie wird es auch nicht, ich ſtehe für ſie. Jch nahm Hertha hernach zu mir allein auf der Gartenterraſſe, wir ſetzten uns auf ein einſames

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/171>, abgerufen am 21.11.2024.