Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

ren selbst mit fortgerissen. Jn den Studierstuben
lag es voll aufklärender Journale. Aus den Ta-
schen der Geistlichen ragten sie in den Gesellschaf-
ten hervor. Wer für einen guten Kopf gelten
wollte, ließ sich anwerben, und alles stimmte in
den allgemeinen Chorus.

Jch. Das Zeitalter, von dem Sie reden, ist
nicht mehr.

Pfarrer. Aber seine Folgen dauern noch,
und können sobald noch nicht ihre Wirksamkeit
verlieren. Die guten Köpfe jener Zeit hatten sich
durch den energischen Widerstand gegen ein ande-
res Extrem gebildet, und waren zu Denkern ge-
worden. Das junge Volk bedurfte der Kraft des
Widerstandes nicht mehr; es brauchte nur nachzu-
sprechen. Daher die unglaubliche Seichtigkeit.
Was war jetzt leichter, als ein Philosoph zu seyn!
Und war erst Philosophie die allgemeine Loosung,
so mußte sie sich auch in dem Grade popularisiren,
daß sie bald ein Eigenthum der Frauen ward, näm-
lich ihre Sprache. Uebrigens nahm diese leichtere
Hälfte des Menschengeschlechts -- verzeihen Sie,

ren ſelbſt mit fortgeriſſen. Jn den Studierſtuben
lag es voll aufklärender Journale. Aus den Ta-
ſchen der Geiſtlichen ragten ſie in den Geſellſchaf-
ten hervor. Wer für einen guten Kopf gelten
wollte, ließ ſich anwerben, und alles ſtimmte in
den allgemeinen Chorus.

Jch. Das Zeitalter, von dem Sie reden, iſt
nicht mehr.

Pfarrer. Aber ſeine Folgen dauern noch,
und können ſobald noch nicht ihre Wirkſamkeit
verlieren. Die guten Köpfe jener Zeit hatten ſich
durch den energiſchen Widerſtand gegen ein ande-
res Extrem gebildet, und waren zu Denkern ge-
worden. Das junge Volk bedurfte der Kraft des
Widerſtandes nicht mehr; es brauchte nur nachzu-
ſprechen. Daher die unglaubliche Seichtigkeit.
Was war jetzt leichter, als ein Philoſoph zu ſeyn!
Und war erſt Philoſophie die allgemeine Looſung,
ſo mußte ſie ſich auch in dem Grade populariſiren,
daß ſie bald ein Eigenthum der Frauen ward, näm-
lich ihre Sprache. Uebrigens nahm dieſe leichtere
Hälfte des Menſchengeſchlechts — verzeihen Sie,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="188"/>
ren &#x017F;elb&#x017F;t mit fortgeri&#x017F;&#x017F;en. Jn den Studier&#x017F;tuben<lb/>
lag es voll aufklärender Journale. Aus den Ta-<lb/>
&#x017F;chen der Gei&#x017F;tlichen ragten &#x017F;ie in den Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ten hervor. Wer für einen guten Kopf gelten<lb/>
wollte, ließ &#x017F;ich anwerben, und alles &#x017F;timmte in<lb/>
den allgemeinen Chorus.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Das Zeitalter, von dem Sie reden, i&#x017F;t<lb/>
nicht mehr.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Pfarrer</hi>. Aber &#x017F;eine Folgen dauern noch,<lb/>
und können &#x017F;obald noch nicht ihre Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
verlieren. Die guten Köpfe jener Zeit hatten &#x017F;ich<lb/>
durch den energi&#x017F;chen Wider&#x017F;tand gegen ein ande-<lb/>
res Extrem gebildet, und waren zu Denkern ge-<lb/>
worden. Das junge Volk bedurfte der Kraft des<lb/>
Wider&#x017F;tandes nicht mehr; es brauchte nur nachzu-<lb/>
&#x017F;prechen. Daher die unglaubliche Seichtigkeit.<lb/>
Was war jetzt leichter, als ein Philo&#x017F;oph zu &#x017F;eyn!<lb/>
Und war er&#x017F;t Philo&#x017F;ophie die allgemeine Loo&#x017F;ung,<lb/>
&#x017F;o mußte &#x017F;ie &#x017F;ich auch in dem Grade populari&#x017F;iren,<lb/>
daß &#x017F;ie bald ein Eigenthum der Frauen ward, näm-<lb/>
lich ihre Sprache. Uebrigens nahm die&#x017F;e leichtere<lb/>
Hälfte des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts &#x2014; verzeihen Sie,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0202] ren ſelbſt mit fortgeriſſen. Jn den Studierſtuben lag es voll aufklärender Journale. Aus den Ta- ſchen der Geiſtlichen ragten ſie in den Geſellſchaf- ten hervor. Wer für einen guten Kopf gelten wollte, ließ ſich anwerben, und alles ſtimmte in den allgemeinen Chorus. Jch. Das Zeitalter, von dem Sie reden, iſt nicht mehr. Pfarrer. Aber ſeine Folgen dauern noch, und können ſobald noch nicht ihre Wirkſamkeit verlieren. Die guten Köpfe jener Zeit hatten ſich durch den energiſchen Widerſtand gegen ein ande- res Extrem gebildet, und waren zu Denkern ge- worden. Das junge Volk bedurfte der Kraft des Widerſtandes nicht mehr; es brauchte nur nachzu- ſprechen. Daher die unglaubliche Seichtigkeit. Was war jetzt leichter, als ein Philoſoph zu ſeyn! Und war erſt Philoſophie die allgemeine Looſung, ſo mußte ſie ſich auch in dem Grade populariſiren, daß ſie bald ein Eigenthum der Frauen ward, näm- lich ihre Sprache. Uebrigens nahm dieſe leichtere Hälfte des Menſchengeſchlechts — verzeihen Sie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/202
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/202>, abgerufen am 13.10.2024.