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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Pfarrer. O! zürnen Sie nicht, und ver-
wechseln Sie Jhren Freund nicht mit den gemei-
nen Zeloten. -- Aber --

Jch. Sie wußten nicht, wie es um meine
Religiosität stehe? --

Pfarrer. Wir sind es so gewohnt, bei einem
gewißen Grade von höherer Geistesbildung diese
so ganz zu vermissen, als ob Religiosität und der
Aberglaube eins wären, daß wir kaum mehr hof-
fen dürfen, sie neben der höheren Ausbildung noch
bestehen zu sehen, besonders in den vornehmeren
Ständen, deren Bildung fast alle mittelbar oder
unmittelbar vom französisch-philosophischen Zeit-
alter herkam. Die Philosophie hinterm Rheine
hatte ihr Unglaubenssystem nach dem Theile von
Deutschland und nach der Hauptstadt verpflanzt,
wo sie im lockern Sande ihre leichten Wurzeln am
schönsten ausbreiten konnte. Es huldigten große
und kleine Geister, heilige und unheilige Gemü-
ther, der neuen Gottheit. Die besseren Seelen
trugen das Heilige in ihren Dienst hinein; sie
konnten bei diesem bloßen Vernunftdienste nicht ei-

Pfarrer. O! zürnen Sie nicht, und ver-
wechſeln Sie Jhren Freund nicht mit den gemei-
nen Zeloten. — Aber —

Jch. Sie wußten nicht, wie es um meine
Religioſität ſtehe? —

Pfarrer. Wir ſind es ſo gewohnt, bei einem
gewißen Grade von höherer Geiſtesbildung dieſe
ſo ganz zu vermiſſen, als ob Religioſität und der
Aberglaube eins wären, daß wir kaum mehr hof-
fen dürfen, ſie neben der höheren Ausbildung noch
beſtehen zu ſehen, beſonders in den vornehmeren
Ständen, deren Bildung faſt alle mittelbar oder
unmittelbar vom franzöſiſch-philoſophiſchen Zeit-
alter herkam. Die Philoſophie hinterm Rheine
hatte ihr Unglaubensſyſtem nach dem Theile von
Deutſchland und nach der Hauptſtadt verpflanzt,
wo ſie im lockern Sande ihre leichten Wurzeln am
ſchönſten ausbreiten konnte. Es huldigten große
und kleine Geiſter, heilige und unheilige Gemü-
ther, der neuen Gottheit. Die beſſeren Seelen
trugen das Heilige in ihren Dienſt hinein; ſie
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[186/0200] Pfarrer. O! zürnen Sie nicht, und ver- wechſeln Sie Jhren Freund nicht mit den gemei- nen Zeloten. — Aber — Jch. Sie wußten nicht, wie es um meine Religioſität ſtehe? — Pfarrer. Wir ſind es ſo gewohnt, bei einem gewißen Grade von höherer Geiſtesbildung dieſe ſo ganz zu vermiſſen, als ob Religioſität und der Aberglaube eins wären, daß wir kaum mehr hof- fen dürfen, ſie neben der höheren Ausbildung noch beſtehen zu ſehen, beſonders in den vornehmeren Ständen, deren Bildung faſt alle mittelbar oder unmittelbar vom franzöſiſch-philoſophiſchen Zeit- alter herkam. Die Philoſophie hinterm Rheine hatte ihr Unglaubensſyſtem nach dem Theile von Deutſchland und nach der Hauptſtadt verpflanzt, wo ſie im lockern Sande ihre leichten Wurzeln am ſchönſten ausbreiten konnte. Es huldigten große und kleine Geiſter, heilige und unheilige Gemü- ther, der neuen Gottheit. Die beſſeren Seelen trugen das Heilige in ihren Dienſt hinein; ſie konnten bei dieſem bloßen Vernunftdienſte nicht ei-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/200>, abgerufen am 12.10.2024.