Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

sey. Am Abend, als sie mir gute Nacht sagte,
wisperte sie mir in's Ohr: Heute war ich nicht
schlecht, Tante! Jch drückte sie innig an mich,
und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude
seyn im Himmel über einen Sünder, u. s. w.
Jn meinem Jnnern war himmlische Freude. Jetzt
ist der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht:
nun ist sie bildungs- und besserungsfähig.

Heute nichts mehr, geliebte Emma!



Zwei und zwanzigster Brief.

Jch habe Dir lange nicht geschrieben, beste
Emma. Unsere Kinder waren eine Zeitlang mit
mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit seinem
Mentor in der Stadt, und sie kamen nur, um uns
wieder zu holen. Er mußte während unserer Ab-
wesenheit dem alten Paul sein Wochengeld aus-
zahlen, und Jda's und Mathildens Vögel besor-
gen, auch war er unterdessen Jda's Hofgärtner.
Der Abschied der Kinder von einander war so,
als ob sie sich auf lange trennen sollten. Wir

ſey. Am Abend, als ſie mir gute Nacht ſagte,
wiſperte ſie mir in’s Ohr: Heute war ich nicht
ſchlecht, Tante! Jch drückte ſie innig an mich,
und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude
ſeyn im Himmel über einen Sünder, u. ſ. w.
Jn meinem Jnnern war himmliſche Freude. Jetzt
iſt der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht:
nun iſt ſie bildungs- und beſſerungsfähig.

Heute nichts mehr, geliebte Emma!



Zwei und zwanzigſter Brief.

Jch habe Dir lange nicht geſchrieben, beſte
Emma. Unſere Kinder waren eine Zeitlang mit
mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit ſeinem
Mentor in der Stadt, und ſie kamen nur, um uns
wieder zu holen. Er mußte während unſerer Ab-
weſenheit dem alten Paul ſein Wochengeld aus-
zahlen, und Jda’s und Mathildens Vögel beſor-
gen, auch war er unterdeſſen Jda’s Hofgärtner.
Der Abſchied der Kinder von einander war ſo,
als ob ſie ſich auf lange trennen ſollten. Wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="171"/>
&#x017F;ey. Am Abend, als &#x017F;ie mir gute Nacht &#x017F;agte,<lb/>
wi&#x017F;perte &#x017F;ie mir in&#x2019;s Ohr: Heute war ich nicht<lb/>
&#x017F;chlecht, Tante! Jch drückte &#x017F;ie innig an mich,<lb/>
und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude<lb/>
&#x017F;eyn im Himmel über <hi rendition="#g">einen</hi> Sünder, u. &#x017F;. w.<lb/>
Jn meinem Jnnern war himmli&#x017F;che Freude. Jetzt<lb/>
i&#x017F;t der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht:<lb/>
nun i&#x017F;t &#x017F;ie bildungs- und be&#x017F;&#x017F;erungsfähig.</p><lb/>
          <p>Heute nichts mehr, geliebte Emma!</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Zwei und zwanzig&#x017F;ter Brief</hi>.</head><lb/>
          <p>Jch habe Dir lange nicht ge&#x017F;chrieben, be&#x017F;te<lb/>
Emma. Un&#x017F;ere Kinder waren eine Zeitlang mit<lb/>
mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit &#x017F;einem<lb/>
Mentor in der Stadt, und &#x017F;ie kamen nur, um uns<lb/>
wieder zu holen. Er mußte während un&#x017F;erer Ab-<lb/>
we&#x017F;enheit dem alten Paul &#x017F;ein Wochengeld aus-<lb/>
zahlen, und Jda&#x2019;s und Mathildens Vögel be&#x017F;or-<lb/>
gen, auch war er unterde&#x017F;&#x017F;en Jda&#x2019;s Hofgärtner.<lb/>
Der Ab&#x017F;chied der Kinder von einander war &#x017F;o,<lb/>
als ob &#x017F;ie &#x017F;ich auf lange trennen &#x017F;ollten. Wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0185] ſey. Am Abend, als ſie mir gute Nacht ſagte, wiſperte ſie mir in’s Ohr: Heute war ich nicht ſchlecht, Tante! Jch drückte ſie innig an mich, und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude ſeyn im Himmel über einen Sünder, u. ſ. w. Jn meinem Jnnern war himmliſche Freude. Jetzt iſt der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht: nun iſt ſie bildungs- und beſſerungsfähig. Heute nichts mehr, geliebte Emma! Zwei und zwanzigſter Brief. Jch habe Dir lange nicht geſchrieben, beſte Emma. Unſere Kinder waren eine Zeitlang mit mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit ſeinem Mentor in der Stadt, und ſie kamen nur, um uns wieder zu holen. Er mußte während unſerer Ab- weſenheit dem alten Paul ſein Wochengeld aus- zahlen, und Jda’s und Mathildens Vögel beſor- gen, auch war er unterdeſſen Jda’s Hofgärtner. Der Abſchied der Kinder von einander war ſo, als ob ſie ſich auf lange trennen ſollten. Wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/185
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/185>, abgerufen am 19.05.2024.