Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite


Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem
Armen sein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht
verstanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im
Kriege abgeschossen worden sey. Nun mußt' ich
ihr etwas vom Kriege erzählen, sie konnte das
aber gar nicht fassen; endlich brach sie aus: Ja,
nun weiß ich, wie das ist; die Leute, die sich so
einander wehe thun, und sich todtschießen, sind
gewiß betrunken. Jch schwieg. "Wohl sind sie
trunken, mein Kind, sagte Platov, wenn auch
nicht vom Branntweine." Jch sagte Jda, daß
sie von diesen Dingen noch nichts verstehen könnte,
und daß einmal eine Zeit kommen müsse, wo die
Menschen nicht mehr gegen einander feindlich aus-
zögen.

Herzlich müde und matt kamen wir Abends spät
in meinem Hause an, wo alles auf unsere Ankunft
vorbereitet war. Sehr rührend war Jda's Wie-
dersehen der guten vorausgegangenen Gertrud,
die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be-
willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor-
ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die



Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem
Armen ſein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht
verſtanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im
Kriege abgeſchoſſen worden ſey. Nun mußt’ ich
ihr etwas vom Kriege erzählen, ſie konnte das
aber gar nicht faſſen; endlich brach ſie aus: Ja,
nun weiß ich, wie das iſt; die Leute, die ſich ſo
einander wehe thun, und ſich todtſchießen, ſind
gewiß betrunken. Jch ſchwieg. „Wohl ſind ſie
trunken, mein Kind, ſagte Platov, wenn auch
nicht vom Branntweine.‟ Jch ſagte Jda, daß
ſie von dieſen Dingen noch nichts verſtehen könnte,
und daß einmal eine Zeit kommen müſſe, wo die
Menſchen nicht mehr gegen einander feindlich aus-
zögen.

Herzlich müde und matt kamen wir Abends ſpät
in meinem Hauſe an, wo alles auf unſere Ankunft
vorbereitet war. Sehr rührend war Jda’s Wie-
derſehen der guten vorausgegangenen Gertrud,
die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be-
willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor-
ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0153" n="139"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem<lb/>
Armen &#x017F;ein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht<lb/>
ver&#x017F;tanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im<lb/>
Kriege abge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en worden &#x017F;ey. Nun mußt&#x2019; ich<lb/>
ihr etwas vom Kriege erzählen, &#x017F;ie konnte das<lb/>
aber gar nicht fa&#x017F;&#x017F;en; endlich brach &#x017F;ie aus: Ja,<lb/>
nun weiß ich, wie das i&#x017F;t; die Leute, die &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
einander wehe thun, und &#x017F;ich todt&#x017F;chießen, &#x017F;ind<lb/>
gewiß betrunken. Jch &#x017F;chwieg. &#x201E;Wohl &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
trunken, mein Kind, &#x017F;agte Platov, wenn auch<lb/>
nicht vom Branntweine.&#x201F; Jch &#x017F;agte Jda, daß<lb/>
&#x017F;ie von die&#x017F;en Dingen noch nichts ver&#x017F;tehen könnte,<lb/>
und daß einmal eine Zeit kommen mü&#x017F;&#x017F;e, wo die<lb/>
Men&#x017F;chen nicht mehr gegen einander feindlich aus-<lb/>
zögen.</p><lb/>
          <p>Herzlich müde und matt kamen wir Abends &#x017F;pät<lb/>
in meinem Hau&#x017F;e an, wo alles auf un&#x017F;ere Ankunft<lb/>
vorbereitet war. Sehr rührend war Jda&#x2019;s Wie-<lb/>
der&#x017F;ehen der guten vorausgegangenen Gertrud,<lb/>
die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be-<lb/>
willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor-<lb/>
ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem Armen ſein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht verſtanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im Kriege abgeſchoſſen worden ſey. Nun mußt’ ich ihr etwas vom Kriege erzählen, ſie konnte das aber gar nicht faſſen; endlich brach ſie aus: Ja, nun weiß ich, wie das iſt; die Leute, die ſich ſo einander wehe thun, und ſich todtſchießen, ſind gewiß betrunken. Jch ſchwieg. „Wohl ſind ſie trunken, mein Kind, ſagte Platov, wenn auch nicht vom Branntweine.‟ Jch ſagte Jda, daß ſie von dieſen Dingen noch nichts verſtehen könnte, und daß einmal eine Zeit kommen müſſe, wo die Menſchen nicht mehr gegen einander feindlich aus- zögen. Herzlich müde und matt kamen wir Abends ſpät in meinem Hauſe an, wo alles auf unſere Ankunft vorbereitet war. Sehr rührend war Jda’s Wie- derſehen der guten vorausgegangenen Gertrud, die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be- willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor- ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/153
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/153>, abgerufen am 13.10.2024.