Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem Armen sein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht verstanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im Kriege abgeschossen worden sey. Nun mußt' ich ihr etwas vom Kriege erzählen, sie konnte das aber gar nicht fassen; endlich brach sie aus: Ja, nun weiß ich, wie das ist; die Leute, die sich so einander wehe thun, und sich todtschießen, sind gewiß betrunken. Jch schwieg. "Wohl sind sie trunken, mein Kind, sagte Platov, wenn auch nicht vom Branntweine." Jch sagte Jda, daß sie von diesen Dingen noch nichts verstehen könnte, und daß einmal eine Zeit kommen müsse, wo die Menschen nicht mehr gegen einander feindlich aus- zögen.
Herzlich müde und matt kamen wir Abends spät in meinem Hause an, wo alles auf unsere Ankunft vorbereitet war. Sehr rührend war Jda's Wie- dersehen der guten vorausgegangenen Gertrud, die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be- willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor- ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die
Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem Armen ſein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht verſtanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im Kriege abgeſchoſſen worden ſey. Nun mußt’ ich ihr etwas vom Kriege erzählen, ſie konnte das aber gar nicht faſſen; endlich brach ſie aus: Ja, nun weiß ich, wie das iſt; die Leute, die ſich ſo einander wehe thun, und ſich todtſchießen, ſind gewiß betrunken. Jch ſchwieg. „Wohl ſind ſie trunken, mein Kind, ſagte Platov, wenn auch nicht vom Branntweine.‟ Jch ſagte Jda, daß ſie von dieſen Dingen noch nichts verſtehen könnte, und daß einmal eine Zeit kommen müſſe, wo die Menſchen nicht mehr gegen einander feindlich aus- zögen.
Herzlich müde und matt kamen wir Abends ſpät in meinem Hauſe an, wo alles auf unſere Ankunft vorbereitet war. Sehr rührend war Jda’s Wie- derſehen der guten vorausgegangenen Gertrud, die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be- willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor- ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die
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Jm Weiterfahren fragte Jda: Wer hat dem
Armen ſein Bein abgebrochen? ich habe ihn nicht
verſtanden. Jch wiederholte ihr, daß es ihm im
Kriege abgeſchoſſen worden ſey. Nun mußt’ ich
ihr etwas vom Kriege erzählen, ſie konnte das
aber gar nicht faſſen; endlich brach ſie aus: Ja,
nun weiß ich, wie das iſt; die Leute, die ſich ſo
einander wehe thun, und ſich todtſchießen, ſind
gewiß betrunken. Jch ſchwieg. „Wohl ſind ſie
trunken, mein Kind, ſagte Platov, wenn auch
nicht vom Branntweine.‟ Jch ſagte Jda, daß
ſie von dieſen Dingen noch nichts verſtehen könnte,
und daß einmal eine Zeit kommen müſſe, wo die
Menſchen nicht mehr gegen einander feindlich aus-
zögen.
Herzlich müde und matt kamen wir Abends ſpät
in meinem Hauſe an, wo alles auf unſere Ankunft
vorbereitet war. Sehr rührend war Jda’s Wie-
derſehen der guten vorausgegangenen Gertrud,
die uns mit aller ihrer innigen Anhänglichkeit be-
willkommte. Mathilde hatte an allem, was vor-
ging, wenigen Theil genommen. Jch brachte die
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/153>, abgerufen am 24.11.2024.
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